Unsere Zivilisation ist in die Enge getrieben. Ein rassistischer, egomanischer Sexist wurde zum mächtigsten Mann der Welt gewählt. Während ein ehemaliges Königreich sich selbst aus der Gruppe jener nimmt, die gemeinsam etwas bewegen könnten. Und sich dabei seines letzten Anstands beraubt. Unser Klima erwärmt sich. Die Naturkatastrophen nehmen zu. Die Polarkappen schmelzen. Wenn wir nicht sofort aufhören, die Erdkugel weiter auszupressen wie eine bereits entsaftete Orange, steht uns die sprichwörtliche Sintflut tatsächlich bevor. Nichts, aber auch gar nichts, an das man glauben kann, wurde noch nicht von Wissenschaftlern, Kritikern, Denkern oder Provokateuren auseinandergenommen. Gleichzeitig hat sich unsere Rasse innert kürzester Zeit exponentiell vermehrt. Und mit ihr ihre technischen Mittel und Ausdrucksmöglichkeiten – zumindest für die westliche Welt.
Wir ertrinken in einem Meer von Informationen, die immer schneller an uns vorbei rauschen. Was heute gegolten hat, ist morgen lächerlich. Was man gestern sagen durfte, ist heute unaussprechlich – und umgekehrt. Was man tragen muss, und was als untragbar gilt, ändert sich im Handumdrehen. Was man liest, erweist sich als falsch. Was man als gegeben annimmt, ist längst fluide geworden. Alle moralischen, ethischen und theologischen Werte sind längst ausgefallen. Manches davon ist gut, richtig und wichtig. Vieles davon läuft jedoch zweifelsohne falsch. Die Folge? Unsere durch und durch technisierte Welt ist zu kompliziert, sich mit ihr zu beschäftigen. Was übrig bleibt, ist ein Spiegel, in dem außer dem isolierten Ich nichts mehr reflektiert. Die Gefühlswelt einer evolutionär noch in simpleren Gefilden lebenden Seele. Das Greifbare. Das einzig noch wirklich Bestimmbare, das unmöglich seiner Bedeutung zu berauben ist: Die Liebe. Und alle kindlichen, dummen, naiven, ja, einfachen Spielereien, die sie mit sich bringt. Wir sehnen uns danach. Denn wir berauschen uns daran. Und Die Höchste Eisenbahn liefert uns diesen Rausch in wundervoll konsumierbaren Dosen.
Jetzt stehen sie da, auf der Bühne der Wagenhallen. Die vier Herren. Die vier alt gewordenen Studenten. Es wird die letzte Show in dieser Location sein, wie wir sie kennen. Denn sie soll geschlossen und umgebaut werden. Es wird eine Show werden, an die sich das Publikum noch lange erinnern wird. Denn Francesco Wilking und Moritz Krämer, die beiden Aushängeschilder der Gruppe, sprechen den Nerv des Rauschs direkt in den ersten Songs an. "Bei uns geht es ja meistens um zwei. Wobei einer nicht da ist, wo er sein will.", befinden sie beide. Und eröffnen mit "Wir haben so lange nachgedacht.", "Gierig" und "Raus aufs Land."
Mehr braucht der musikalisch auf mannigfaltigen Wegen voranschreitende Vierer tatsächlich nicht, um auch den letzten Gast in den Wagenhallen auf seine Seite zu ziehen. Denn egal in welchem Outfit und in welcher Konstellation. Ob nun mit Francesco Wilking am Basse im Disco-Outfit, Moritz Krämer am Keyboard in Westernhagen-Gefilden, Felix Weigt an der Gitarre in Blues-Positur, oder, oder, oder. Die Höchste Eisenbahn macht als jede Figur eine gute Figur. Schaffen die einfachen, aus guter Beobachtung geernteten Texte es doch stets, eine direkte Brücke zum Leben jener zu schlagen, die vor den Bühnen Deutschlands stehen. Und die spätestens jetzt auch in Stuttgart unglaublich textsicher zu tanzen beginnen – und bis zum Ende damit weitermachen.
Ob es an dem schlichten Fakt liegt, dass das Konzept Die Höchste Eisenbahn, als eines der wenigen, dem dieser Begriff übergestülpt wird, tatsächlich eine Einheit bildet? Denn nur wenigen gelingt es, sich im gegenseitigen Unterbrechen und Ausbessern während der Ansagen zum Lachen zu bringen. Anstatt zum peinlichen oder genervten auf-den-Boden-blicken. Und nur wenige Bands interpretieren ihre eigenen Stücke neu, oder addieren gar neue Elemente. So wird "Stern" heute mit an Kraftwerk erinnernden Synthies eingeleitet. "Mira" wird mit einem Cover von Kelis' "Milkshake" untermalt. Und "Aliens" wird gar mit einem beinahe als Comedy durchgehenden Spoken Word-Intro versehen.