Yum Yum Club im Merlin Stuttgart.
Die wenigen regelmäßigen LeserInnen unter Ihnen, die nicht ebenso regelmäßige BesucherInnen des Komma Esslingen sind, wissen es vielleicht nicht. Doch in jener Lokation fand vor ein paar Wochen ein Treffen einiger weniger, im wirklich kleinen Punk-Untergrund tatsächlich als Größen zu bezeichnender Personen statt. Armin Hofmann, Betreiber des Platten-Mailorders X-Mist, Michael Zuckle, Betreiber des Labels Beau Travail und Jonas Engelmann, Herausgeber des Buchs "Damaged Goods – 150 Einträge in die Punkgeschichte", diskutierten dort über die Frage, wie Punk entstand und, vor allem, was der Terminus "Punk" heute bedeutet.
Den ganzen Vortrag können Sie hier nachhören. Schließlich würde eine Auseinandersetzung mit dem Versuch der Beantwortung dieser Frage den Rahmen dieses Artikels sprengen. Doch während der Fragerunde an die Diskutanten wurde von einem gewissen Besucher ein interessanter Gedanke aufgeworfen, den wir schon vor einigen Monaten bei uns zur Sprache, respektive Schrift, gebracht haben: Treffen die Attitüde und das Ethos von Trap/Cloud Rap das ursprüngliche Verständnis von Punk viel eher, als es die heutige Inkarnation von Punk zu tun vermag?
Inwiefern das für diesen Bericht relevant ist, mögen Sie sich jetzt wohl fragen. Na weil die Frage aus dem Publikum von Paul Abbrecht gestellt wurde – der einigen von Ihnen vielleicht von Tristan Rêverb bekannt sein dürfte – und der nun eben bei Yum Yum Club mitmischt. Gemeinsam mit zwei weiteren Herrschaften, die in Ihrem Cortex wohl unter dem losen Genre "Post-Punk" archiviert sein mögen: Die Brüder Julian (Bass, Die Nerven, Peter Muffin) und Philipp Knoth (Schlagzeug, Karies).
Diese drei Grandseigneure der Stuttgarter Musiklandschaft formierten sich im September des letzten Jahres während eines Konzerts des wirklich grandiosen Yung Hurn zu Yum Yum Club. Nun, ein paar Monate später, stehen sie zum ersten Mal vor Publikum – im Rahmen der Pop Freaks im Merlin Stuttgart. Ein paar nervöse Atemzüge, dann zählt der hagere Philipp Knoth ein. Und beginnt einen mit Drum Pads fabrizierten Beat, der tief im Trap verwurzeltet ist. Julian Knoth setzt mit aggressiv angezerrtem Bass, von Hip Hop und Afro-Beat beeinflussten Lines und nihilistisch-dadaistischen Textzeilen wie "Dir gefällt nicht mein Gesicht? Schieß!" ein. Paul Abbrecht entlockt seiner Trompete Noten, verfremdet und loopt sie sodann und addiert gleichermaßen Atmosphäre wie Noise-Elemente zum avantgardistischen Amalgam.
Avantgardistisch? Zweifelsohne. Denn selbst, wenn man der Schau anmerkt, dass die drei Akteure die ersten gemeinsamen Schritte auf einer Bühne gehen, so treten sie gerade einen musikalisch bisher weitgehend unbewanderten Pfad aus. Das Überziehen der Trap-Maske, die Leben und Tod zugleich bedeutet, und ihre Verschmelzung mit Punk- und Noise-Eruptionen beschreibt nicht Sekundarität, sondern Reokkupation. Denn der Rolle, derer sich Yum Yum Club bedient, wohnt freilich ein Set aus Werten und Ästhetik inne: DIY, Intuition, Autonomie, Ungeschliffenheit, Rohheit. Werte also, die ursprünglich unter dem Begriff Punk subsumiert wurden. Sich in der Realität der Musikindustrie und der Vermarktung selbiger jedoch in ein paar viel zu großen Plus-Beträgen auf Bankkonten auflösten. Die nun aber von Yum Yum Club aus dem Kontext des Cloud Rap, aus der Musik aus der Dose, aus den Hip Hop Zeitschriften, aus dem Supreme-Turbo-Kapitalismus genommen werden, und zurück in den schwitzigen, stinkenden, rotzigen Punk-Schuppen gebracht werden. Ein Move, der uns in einer Zeit, in der Konsorten wie Rin, eben Yung Hurn, Crack Ignaz oder LGoony sich immer mehr Mainstream-Aufmerksamkeit erfreuen, ein anerkennendes "Sheesh" entlockt.
Das zwar im Vergleich zu den sich in aller Munde befindenden Gurr dezimierte, doch interessierte Publikum goutiert das musikalische Novum. So wird dem Zusammenspiel zwischen dem mit beeindruckender Technik und famosem Punch ausgestatteten Philipp Knoth und dem idiosynkratisch zwischen Extrovertiertheit und Nervosität changierendem Julian Knoth viel Beifall um die Ohren geweht. Irgendetwas muss an diesem Mythos der perfekt harmonierenden Brüder in Bands schließlich dran sein.
Das Set aus klebrig-verträumten und schräg-lärmenden sonischen Eskapaden findet nach im Flug vergangener Zeit ihr jähes reguläres Ende. Doch der nach mehr gierenden Zuschauerschaft wird schließlich eine Improvisation zum Fraß vorgeworfen, die unser Urteil nur unterstreicht: Mit Yum Yum Club ist Stuttgart um eine vielversprechende Band reicher, die in ihrer Genese bereits Großes vollzogen hat. Und dies in ihrer Zukunft hoffentlich zu wiederholen vermag.
Eine photographische Rekonstruktion der Schau von Yum Yum Club finden Sie hier. Wir hoffen gemeinsam mit Ihnen auf eine baldige Veröffentlichung. Vielleicht bei Treibender Teppich Records. Legen Ihnen in der Zwischenzeit aber die Show der Gruppe im Vorprogramm von Die Sterne an die toten Herzen. Die Revue von Yum Yum Club war Teil des Pop Freaks Festivals im Merlin Stuttgart. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Human Abfall hören.