"Dead Magic" von Anna von Hausswolff.
Narziss, der einst von trotzigem Stolz und der Manie seiner Schönheit so beseelt war, dass er all seine Verehrer und Verehrerinnen herzlos zurückwies, erkannte die Liebe, ohne die Fähigkeit, wahre Empathie für seinen Nächsten empfinden zu können. Seine Sehnsucht nach seinem Ebenbild genügte ihm voll und ganz. Als er eines Tages am Ufer sitzend sich selbst bestaunen wollte und die trübe Sicht statt der klaren Spiegelung des Wasser wahrnahm, erkannte er nur die Umrisse einer verzerrten Gestalt. Unschön und ohne besonderen Glanz. Getrieben von der Angst des Verlusts seiner Schönheit – und damit seiner einzigen Liebe – stürzte er sich deprimiert in die Wellen und starb. So zumindest eine Auslegung der Mythologie des Narziss. In den Metamorphosen des neuen Albums „Dead Magic“ von Anna von Hausswolff begegnet uns eine ähnliche Tragik, jedoch verworren mit der Klage der Moderne. In ihrer toten Magie liegt eine Geschichte verborgen, bei der sich Realismus, Idealismus und Narzissmus unheimlich nahe kommen. Zwischen ihnen steht das Unterbewusste. Und genau diese macht das Album so reizvoll.
Wer die Künstlerin kennt, weiß, dass ihr Trapezgang durch die Dichotomie musischer Klänge und rauem Lärm besticht. Umgeben von Anna von Hausswolffs nymphenhafter Stimme wirkt diese bisweilen meditierend. Nicht selten verwirrt sie durch Orgeltöne, die im Kontrast zu düsteren New Wave Einschüben explodieren. Überwiegend in Moll gehalten, verbildlicht sie auf Dead Magic den inneren Zwist unserer Zeit. Sie verzichtet auch auf ihrer jüngsten Veröffentlichung nicht auf sakrale Passagen, doch gewährt sie im Gegenüber einen neunen Blick, eine Analyse unserer Conditio Humana, bei der sich Gut und Böse gegenüberstehen. Genauer: In der sich die narzisstische Selbstliebe, Solidarität und das verrückte Streben nach Instagram-Hashtag- Idealen begegnen.
Begleitet wird dies von einem Inferno, bei dem von Hausswolff auf mythologischen Spuren wandert. Ihr Wegbegleiter auf dem blutigen Pfad der Erkenntnis ist Walter Ljungqvist, der um das 19. Jahrhundert als Schirftsteller in Schweden Theorien zu Idealen entwickelte. Lijquists eloquente Art schildert einfühlsam, dass es keiner Gesellschaft der Moderne möglich sei, wahre Ideale zu erschaffen und diese für die Ewigkeit zu bewahren. Er war der Meinung, dass seine Zeit nicht ausreichend still und entschleunigt sei, um in der Lage zu sein, die völlige Selbstliebe wahrnehmen zu können. Eine schleppende, Ideale-jagende Lethargie beherrsche das Bild des Menschen so sehr, dass es unmöglich sei, eine Solution in der Moderne zu finden. Dead Magic interpretiert dieses Konzept als eine neue Form der Akzeptanz. Denn wenn klar ist, dass keine Ideale existent sind, kann nur der Realismus als Lösung dienen.
Doch Dead Magic geht einen Schritt weiter. Und dies gleich mit dem Opener des Albums „The Truth, the Glow, the Fall“. Ein zwölf minütiges Theaterstück trägt uns mittels Orgeln, Streichern, Found Sounds, mystischen Klängen und kühlem Gesang meditativ über Fernsehbildschirme, Modeschauen, Magazin-Cover und Instagram-Stories. Dort, über der Masse der Medien, wartet im Licht – das Ich. Was längst verloren schient, lässt uns dort Gewissheit erlangen. Darüber, dass Selbstliebe nie der falsche Weg sein kann. Wenn das Ziel denn hehr ist. Im Schein beginnt eine Zeremonie. Nach dem noch pochenden Klangerlebnis der kalten Harmonie kristallisiert sich in „The Mysterious Vanishing of Electra“ eine Synthese aus düsterem Folk-Pop und bedrohlichen Gitarren. An ihrem zerrüttenden Ende wartet: Der Tod. Des Narzissmus und des leeren Idealismus.
„Ugly and Vengeful“ beerdigt beide theatralisch – erst aggressiv aufbauend und am Ende chaotisch aufbrausend. Es endet mit dem erhobenem Haupt im Antlitz des Selbst. Nennt sie ruhig hässlich, nennt sie zu kompliziert, zu wild. Von Hausswolff begreift die Realität veränderbar, modellierbar, während andere noch sich selbst lieben oder einem inszenierten Instagram-Ideal nachlaufen. Mit phantasievollen Orgelklängen und abstrakten Streichern zeigt sie, dass wir die Wirklichkeit verändern können. Wenn wir sie erst einmal in aller zeitweiliger Bitterkeit begriffen haben. Was danach bleibt, ist die Gewissheit, dass es uns frei steht, sie zum Besseren zu bewegen.
So ist es vor allem der Glaube an die Freiheit, den Hausswolff uns auf Dead Magic zurück ins Gewissen komponiert. Er zeigt uns, dass es wichtig ist, sich selbst zu schätzen. Mit allen Makeln, allen vermeintlichen Unschönheiten. Denn sind diese erst einmal akzeptiert, erscheinen sie blasser als zuvor, ja verschwinden ganz – und unterstreichen unser Charisma. Mit dem wir auf Ideale pfeifen können und stattdessen die wirklich wichtigen Dinge angehen können. Jene Helligkeit – man ist fast geneigt, Heiligkeit zu sagen – erstrahlt auf Dead Magic im goldenen Glanz. Anna von Hausswolffs Dramatik eröffnet uns zwar den wahrhaftigen und humanen Blick auf die bittere Realität. Jene, und hier sind sich Walter Ljundqvist und Anna von Hausswolff einig, können wir nur hinter uns lassen, wenn wir begreifen, dass wir keinem Ideal entsprechen müssen und uns nicht in Selbstliebe verlieren dürfen. Nur dann wartet die wahre Grandezza.
"Dead Magic" von Anna von Hausswolff erscheint auf City Slang Records. Produziert wurde es von Randall Dunn (Sunn O)))). Wir empfehlen wie immer den legalen Erwerb. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Sun Worship hören.