Fragmente

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Rückkehr der Rohheit.

Le Butcherettes, The Picturebooks und die Unmissverständlichkeit der Einfachheit.

Es ist kompliziert. In den Staaten schafft es ein hirnloser, egomanischer, geldgeiler, rassistischer und sexistischer Affe, das Rennen um den mächtigsten Politikerposten der Welt nicht nur mitzumachen, sondern vielleicht sogar für sich zu entscheiden. Die Medien, konfrontiert mit der Furcht, ihre Macht in der fragmentierten Realität des Nachrichtenkonsums zu verlieren, berauben sich im ironischen Umkehrschluss mittels Skandal-Wettrüsten gleich selbst ihrer Legitimation. Ein Rechtsruck sondergleichen geht durch europäische Ländereien, die sich in ihrer geradezu biblischen Angst vor dem populistisch-verklärten "Fremden" in gleichsam bewegungslose wie rückständige politische Lager erstarren lassen.

Nach so vielen Jahren des Kampfes der feministischen Bewegung werden die alten Fragen immer und immer wiedergekäut, weil keine Sau irgendetwas dazugelernt hat. Die privilegierte Generation Y verzieht sich derweil mit Plattenspielern, Espresso-Maschinen und Macbooks in ihre Biedermeier-Wohnungen. Die von ihren Eltern finanziert werden, die wiederum gerade Instagram, Craft Beer und Pulled Pork für sich entdecken, während die Hälfte der Welt verhungert – was hin und wieder mit einem "Like" auf Facebook zu verhindern versucht wird. Dazu der Turbokapitalismus der westlichen Welt, der gemeinsam mit dem technischen Fortschritt nicht nur unserer evolutionär bedingten Aufmerksamkeitsspanne, sondern auch der Steinzeit des Rests der Welt davon läuft. Man möchte schreien, schreien, schreien, ob des ganzen Irrsinns, der so furchtbar normal geworden ist. Heulen, johlen, zappeln.

Oder schlagen. Inbrünstig, animalisch, roh. Wie Philipp Mirtschink, der im Keller Klub zu Stuttgart gerade sein reduziertes Ludwig Drumset mit aller Gewalt verprügelt. Keine Becken, kein Gehabe, kein Schnickschnack. Mit Fynn Claus Grabke, der seinen verschrammten Gitarren aus dem Second Hand-Laden gerade Blues-Riffs erster Güte entlockt, formiert er die heutige Naissance von The Picturebooks. Entrückt, losgelöst, frei erheben sich die beiden Monumente aus dem staubigen Boden der spirituellen nordamerikanischen Stammesmusik, reformieren sie mit dem Geiste der Simplizität des anklagenden afroamerikanischen Blues – und speien ihn gnadenlos und grob in das staunende Auditorium.

Nach zwei Releases zum unnachgiebigen Duo geschrumpft und gestählt von Touren mit unter anderem The International Noise Conspiracy, scheint die Musikgruppe aus Gütersloh, die keinesfalls klingt, als käme sie aus Gütersloh, ihre eigene Nische gefunden zu haben. Pfercht das DIY-Ethos des Punk zusammen, zimmert ihre eigenen Instrumente, macht sich frei von den immer gleichen Skalen und Konventionen. Schafft schlussendlich auf den wenigen Bühnenbrettern zwischen Verstärker und Drumset ein unendlich fruchtbares Biotop. Eigentümlich unverkünstelt und wundervoll ungehobelt kreieren The Picturebooks so mit reduzierten Rhythmen und brutalem Bariton ihre ganz eigene, vehemente Form des Blues. Eine Form, die im besten Falle den Anfang für ein neues Aufleben desselbigen bieten könnte. Heute jedoch schlicht für ein energisches Konzerterlebnis sorgt, das den Keller Klub vollends in seinen Bann zieht. 

Während dieser in Gedanken noch in den Südstaaten des frühen 20. Jahrhunderts ist, wird er plötzlich von einer kleinen Übermacht in das Hier und Jetzt geschrien. Teresa Suaréz aka Teri Gender Bender hüpft unversehens auf die in glitzerndes Rot getauchte Bühne. Gehüllt in einen olivgrünen Overall im Top Gun Stile und bemalt mit einem roten Strich über beide Augen, brüllt sie nicht ins Mikro – sondern wild stampfend in den Keller Klub. Anprangernd, ekstatisch, martialisch reichen wenige Sekunden aus, um die Augen aller auf dieses Kraftbündel zu richten. Und sie die folgenden sechzig Minuten zu kontrollieren, zu befehligen.

Da sitzt Alejandra Luna Robles gelassen am Schlagzeug. Da steht Rikardo Rodriguez Lopez eingepfercht zwischen Keyboard, Bass- und Gitarrenverstärker. Und da ist der Grund, warum Le Butcherettes seit 2007 für offene Mäuler sorgen. Mit Größen wie den Deftones, The Dillinger Escape Plan und At The Drive-In die Bühnen teilen. Und längst nicht mehr zum Geheimtipp gehören sollten. Denn wo immer das mit ständig wechselnder Besetzung auftauchende Konzept Le Butcherettes einen Platz findet, ist jener viel zu klein.

Die im Punk verwurzelte, mit Garage Rock und Glam-Reminiszenzen angereicherte Show dieser Truppe speist sich aus dem Leben aller Anwesenden. Die unkontrollierbare Verve Teri Gender Benders saugt die Aufmerksamkeit des Publikums mit aufgerissenen Augen, unglaublichen Verrenkungen und simpelsten Riffs auf, beraubt sie ihrer Energie und gibt sie weiter an das immer fetter und mächtiger werdende Monster Le Butcherettes. Gesegnet mit einer Stimme, deren Range und Kraft ihresgleichen sucht, der Körperkontrolle einer Balletttänzerin und dem Selbstbewusstsein des stets hungrigen, suchenden Wahnsinns gerät der Vergleich mit Karen O. oder Patti Smith viel zu kurz. Denn er würde die Alleinstellung des einzig steten Mitglieds dieser Truppe untermauern.

Während der Overall fällt und ein rotes Kleid zu Tage fördert, das an ein Superheldinnen-Kostüm erinnert und Teri Gender Bender die Wand zwischen Publikum und Band längst durchbrochen hat, wird klar, dass dies der einzig gangbare Weg für diese Frau ist. Denn nur diese zähnefletschende Idiosynkrasie, die ständig zwischen Theatralik und Performance-Art, zwischen Gitarre und Keyboard, zwischen Übermenschlichkeit und Zerbrechlichkeit, zwischen dem 2014er "Sin, Sin, Sin" und dem aktuellen "A Raw Youth" pendelt, schafft es, die komplexen Topoi Le Butcherettes' ungehobelt und drastisch an das Publikum zu kommunizieren: Den unendlichen Kampf. Sei es die Rolle der Frau, die immer noch kämpfen muss, um als gleichwertig angesehen zu werden. Der Individualismus, der kämpft, um sich der Unterdrückung der Konvention zu entziehen. Oder der persönliche Kampf mit den eigenen Dämonen.

Teri Gender Bender bestreitet diesen Kampf mit Le Butcherettes Nacht für Nacht. Und gewinnt immer ein Stückchen mehr. Gemeinsam mit ihren Publika. Manchmal bedarf es wohl der Einfachheit der Rohheit, um die Komplexität zu durchbrechen.

Per Klick erreichen Sie photographische Rekonstruktionen der Schauen von The Picturebooks und Le Butcherettes. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Human Abfall hören.