Fragmente

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Scheitern wie Gott.

Gewalt in Klammern im Komma Esslingen.

Sie waren größer als Gott. Und sind tiefer gefallen, als selbiger je gestiegen ist. Sie waren erst "die deutschen Shellac", dann "die besseren Tocotronic" und schlussendlich "die besseren AC/DC". Ihr Spiel mit dem eigenen Image, geprägt vom Größenwahn, der nur von einem gebürtigen Österreicher, der nach Deutschland auswandert, stammen kann, öffnete ihnen den Weg in den Feuilleton – die jenes nur zu gerne ausschlachteten. Ihre Lyrik suchte und sucht Ihresgleichen im großen Feld des deutschen Indie. Keine Spur von Diskursrock. Das war Krach. Der vergebens versucht wurde, in Genre-Namen zu zwängen. Zu spröde, zu vertrackt, zu ungewöhnlich. Dennoch kam erst der Erfolg und dann das Major-Label. Die Rede ist von Surrogat. Und allen voran von ihrem Kopf Patrick Wagner. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern versprach er Heil. "Ich weiß was zu tun ist, ich bin in einer Band." Gemeinsam forderten sie Alles. Vom Hörer. Und von sich selbst. 

2003 kam das Ende. Man hatte sich auseinander gelebt. 2006 ging Wagners Label Kitty Yo in die Binsen. Dann folgte die Gründung des Labels Louisville. Benannt nach Wagners Sohn. Betrieben mit seiner Frau. 2010 scheiterte es. Kurz darauf auch die Ehe Wagners. Das Götzenbild, gefallen.

"Wenn wir fünf Lieder haben und sie nicht spielen können, wollen wir auftreten.", schreibt Wagner 2015. Gerade hat er Helen Henfling kennengelernt. Sie nimmt ihm die "Angst davor, etwas mit Musik zu sagen." Er ihr die "Angst vor ihrer Gitarre". Kurz darauf stößt Yelka Wehmeier am Bass dazu. Zusammen mit einer Drum-Machine sind sie Gewalt. Bei vier Songs angelangt werden sie gefragt, ob sie auftreten wollen. Ohne Aufnahmen. Mit Jari Altermatt rotzen sie ihre Songs also kurzerhand noch auf einen 80er 4-Track Kassettenrecorder. Ohne Fummelei am Rechner. Sie treten im Antye Ökelsund auf. Es ist ausverkauft. Einige sollen geweint haben.

Nun steht Patrick Wagner auf einer minimalen Erhebung in Esslingen. Komma, kleiner Saal. Man könnte es auch Bühne nennen. Er trägt einen Anzug. Angeblich der von seiner Hochzeit. Von einer Künstlerin zu neuem Leben erweckt. Gerade eben stand er noch mit Sweater vor der Bühne und hat Melvin Raclette ermunternd dabei zugeguckt, unsicher hin und her zu zappeln. Das Blaulicht, das seine Band heute beleuchten wird, trug er selbst zur Bühne. Mit Brille am Pulli suchte er die Steckdose. So eine, die man im Supermarkt an der Kasse bekommt.

"GEWALT!" schreit er nun in das dunkelblaue Komma. Der volle Raum hält inne. Und dann folgt nur noch Krach. Aus den bis zum Anschlag aufgedrehten Verstärkern. Aus den Gitarren. Aus den Mikros. Aus der heiseren Kehle Wagners. In die Leere des Seins gespien von den mit einem Reibeisen bearbeiteten Stimmbändern. Sogar die Schweißperlen auf Wagners Stirn scheinen zu röhren, während die Maschine einen 4/4 Takt nach dem anderen in den Saal ballert. Stoisch, drückend, zermalmend. 

Sie spielen heute in Klammern, meint Wagner zwischen dem Dröhnen. Weil Yelka Wehmeier "ihren Vater zu Grabe tragen muss", hilft Ben am Bass aus. Aber so ist das Leben. "Arbeit. Krankheit. Tod.", brüllt er dann in Pandora. Nur einer der Song-Texte, die auf ihr Existenzminimum reduziert sind. Genau wie das gemeinsame Üben und im Proberaum stehen, oder Selbstvermarktungs-Maßnahmen der Band. Alles kurz und klein gehackt von rasselnden Riffs, lärmenden Rückkopplungen, verneinendem Druck, unbeschreiblicher Drastik.

Denn nichts, aber auch gar nichts ist sicher, außer dass alles unsicher ist. Wenn Wagner im enervierenden Dada-Stil die knapp vorm Explodieren befindliche Genervtheit eines zerrütteten Ehepaars mit den Worten "Was. Willst. Du. Denn. Von mir?" beschreibt. Die falsche, selbstbelügende Geborgenheit im digitalen Zeitalter mit einem schnöden "Du bist allein" kommentiert. Wenn das Heilsversprechen im Glauben an welches Opium auch immer mit "Pandora, du Bitch." ins Nichts zerpflückt wird. Dann geht es nicht nur um Existenzialismus. Nicht nur um die Unmöglichkeit des Seins. Die Unentrinnbarkeit vor dem eigenen Wahnsinn. Nicht nur um den reinigenden Prozess von stumpfem Krawall. Oder die Akzeptanz der unschönen Realität eines Mittvierzigers. Nein. Dann geht es um das Wissen darum, dass Scheitern Teil des Prozesses ist, der etwas Neues zu Tage fördert. Dass man im Leben immer und wieder neu anfangen muss. Dass man aus verdammt noch mal Nichts lernt. Dass man immer im Hier und Jetzt lebt. Nicht in vergangenen Erfolgen. Oder zukünftigen.

Deswegen singt, nein schreit, nein röchelt, kotzt, speit, brüllt Wagner in "Limiter" auch im abgeklärten Präteritum "Wir waren schön wie Gott" in das für dieses wahnwitzige Gepolter im perfekten Maße viel zu kleine Komma. Denn was Gestern war, bedeutet Heute nichts. Und was Morgen sein kann noch viel weniger. Das stickige Komma. Die surrenden Gitarren. Die stoischen Blicke des Publikums, der Band. Die Seelen hier drin. Für ein paar Minuten sind wir frei von den Annahmen, die uns unfrei machen.

Deswegen fehlt am Ende die Masse an Singles, um jeden geneigten Käufer zu beglücken. Deswegen erreichen Bekundungen aus den Besucherreihen Patrick Wagner, die ihn darin bestärken, weiterzumachen. Deswegen soll Gewalt die Massen erreichen, wie Surrogat damals. Um am Ende erneut zu scheitern und den Trümmerweg für ein neues Projekt des dann Sechzigjährigen Wagner zu ebnen.

Hier sehen Sie eine photographische Rekonstruktion der Schau von Gewalt. Wir danken dem Komma Esslingen für die Möglichmachung jener. Platten von Gewalt finden Sie beim Label Slowboy. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Human Abfall hören.