Fragmente

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Ästhetik des Zerfalls.

Die Drangsal und Der Ringer im Keller Klub.

Der Himmel tränt auf Stuttgart. Zumindest scheint es seit einigen Tagen so. Ob dies die erste der noch abzuwartenden, womöglich schwerwiegender als gedachten Folgen der Präsidentschaft dieses rassistischen, sexistischen und egomanischen Schwein eines Mannes ist, dessen gottverdammten Namen wir hier nicht erwähnen wollen, sei dahingestellt. Fest steht, dass die geplante Schau Drangsals ein bittersüßer Lichtblick im klebrigen Sumpfe zwischen unsicherer Ungewissheit und unerklärlicher Unwissenheit ob dieses Wahlausgangs bildet. Deswegen meldet der Austragungsort des Stelldicheins, Keller Klub, auch "ausverkauft". Denn keiner von uns konnte dieses Ergebnis absehen. Die schiere Menge an Menschen, die in ihren Köpfen Beweggründe fand, diesem machtgierigen Arschloch ihre Stimmen zu geben.

Wollten wir es nicht wahrhaben? Oder sind wir, die Privilegierten weil gebildeten oder Gebildeten weil privilegierten, längst in unseren social echo chambers gefangen? Im konstanten Loop digitaler #jesuis-Realität, in der unsere selbst geschaffenen Filterbubbles unsere Wahrnehmung verzerren? In der Empörung wie Zuspruch völlig gleichgeschaltet sind? In dem unsere Gefühlswelt durch Swipen nach links oder rechts bestimmt wird? In der wir unsere Menschlichkeit schließlich der Like-Anzahl unserer Instagram-Posts opfern? Und wer soll das beantworten? Fragen, denen sich auch Der Ringer aus Hamburg auf ihrer noch aktuellen, zweiten EP "Glücklich" widmen.

Die fünf jungen Männer, die sich aus dem Pfuhl der unsäglichen Trümmer und Isolation Berlin erheben, stehen nun auf der viel zu kleinen Erhebung des überfüllten Kellers. Und beschallen ihn sodann mit ihrer verträumten Mischung aus schwebendem Synthie-Pop und düsterem Post Punk. Geleitet von mit wundervoller Schiefheit intonierten Texten, die irgendwo zwischen intellektueller Verknapptheit und kindlicher Formulierung zu verorten sind, stülpt Der Ringer die muffige Klamotte des Post Punk von innen nach außen und bedruckt sie mit Pixeln und Einsen und Nullen. So bildet der klassische Dreiklang aus David Schachtschneiders herausragendem Bassspiel, Jakob Herschs melancholischer Gitarre und Benito Pflügers Schlagzeug das immer wieder explodierende Alpha. Diesem diametral gegenüber steht das Omega aus Jonas Schachtschneiders Synthies, Jannik Schneiders Sample-Pads und allen voran seinem emotional, doch resignierten, unangestrengten Gesang.

Als "Soft Punk" verschubladisiert die Band ihre Musik. Man könnte es auch einfach zeitgemäßen Pop nennen. Die Übersetzung der Copy & Paste-Sozialisierung des Netzes in die Musik. Der ständigen Verfügbarkeit verschiedenster Einflüsse und der sprunghaften Konsumierung jener. Der komplexen Gefühlswelt des viel zu hellen Bildschirms in der einsamen Dunkelheit des Schlafzimmers. Der Auflösung der alten Grenzen und Bedeutungshoheiten im Netz. Der Ablehnung des Versuchs der Medien, diesem, unserem Verhalten, ständig Labels geben zu müssen.

Der Ringer vertonen die pinke Kaugummi-Bubble, durch die wir den Untergang der Welt beobachten. Mit krachenden Saiteninstrumenten. Mit unperfekten Melodien. Mit Hamburger Unterkühltheit. Kreieren damit eine Ästhetik irgendwo zwischen Trap und dem Manchester der 80er. Die authentischer kaum sein könnte. Der Keller Klub scheint noch nicht ganz bereit dafür. Doch schunkelt die Meute wohlwollend hin und her. "Ich bin glücklich. Euretwegen." gibt Der Ringer zum Schluss das Titelstück der aktuellen EP "Glücklich" wider. Der Keller applaudiert den Hamburgern für eine verträumte Schau. 

Er meint, er sei dem Ende nah. Er ist umgeben von einer schlechten Welt. Er müsste eigentlich an die Infusion. Und dennoch steht er nun vor proppevollem Raum einem johlenden Publikum gegenüber. Gehüllt in Tank Top, Adidas-Jogginghose und glänzende Dandy-Schuhe. Dekoriert vom karierten Schal eines gewissen Luca G. Eine Support-Tournee des wirklich unglaublich überbewerteten Casper, der sogar Blixa Bargeld das letzte Ansehen raubt und die geforderte und gewährte mediale Aufmerksamkeit dank Video-Clips mit Jenny Elvers oder Hendrik Otremba zeigen Wirkung. Max Gruber alias Drangsal ist heiß begehrt. Ob man dem Hype glauben will oder nicht. Man will ihn dann doch in personam gesehen haben. Seiner Renaissance des 80er Sounds beiwohnen. Egal, ob man seine Referenzen abgesehen von Joy Division überhaupt kennt. Oder je kennen wird. So machen die vorderen Reihen zu einem großen Teil junge Mädchen aus. Nach der Show sollen sie alle noch ihr Selfie mit Drangsal bekommen.

Doch erst das Opener-Trio Drangsals: Das metallische Ende von "Der Ingrimm", der pluckernde Bass von "Hinterkaifeck" und die Ode an den Fetisch des Verlusts der Kontrolle "Do the Dominance". Alles scheint vorhanden zu sein. Die großmännischen Gesten. Die polarisierenden Kommentare. Die erst verhaltene, doch nun schwof-wütige Meute. Nur wirkt Gruber tatsächlich angeschlagen. Erreicht die stimmlichen Höhen seiner Songs nur schwer. Verpasst den ein oder anderen Einsatz. Doch die mit dem Yesterday Shop-Gitarristen Heinrich erneuerte Rhythmus-Sektion hält ihrem exaltierten Il Capitano den Rücken frei. Den Keller Klub kümmern ein paar Unsicherheiten derweil kaum. Das folgende "Will ich nur dich", wird vollends goutiert. Genau wie der Hit, den man nicht als solchen bezeichnen möchte, "Love Me Or Leave Me Alone".

Mit dem bereits am Maifeld Derby präsentierten Song "Und du (10.000 Volt)", der laut Gruber im Erbe Klaus Lages stehen soll und dem auf der Record Store Day 7inch veröffentlichten Song "Zur Blauen Stunde" ebbt die Verhaltenheit des ersten Teils des Sets ab. Die Gruppe scheint mehr zu sich gefunden zu haben. Gruber sucht die Nähe zu seinen Mitstreitern. Ergibt sich der Wirkung seiner Kreationen. Und spiegelt mit der Ansage des letzten Songs des regulären Sets, "Wolpertinger", sein Hüftschwingen nun direkt in den Zuschauerraum. 

Und obwohl er "wünscht, sie könnten sich das sparen", spielt Die Drangsal das Zugabe-Spiel mit. Und leitet schlussendlich zum stärksten Teil des Sets ein. Denn dieses wartet tatsächlich mit einer Überraschung auf. So wechselt Gruber für das Misfits Cover "Some Kinda Hate" an das Schlagzeug, Bassist Sam ans Mikrofon und Schlagzeuger Christoph an den Bass. Als scheint der in sich ruhende Sam nur auf diesen Moment gewartet zu haben, springt er Glenn Danzig in nichts nachstehend über die Bühnenbretter und intoniert "And it's a whoah oh oh oh" mit Bravour. "Warum singt der nicht immer", grölt jemand aus dem Publikum. Die Frage scheint heute Salz in einer klaffenden Wunde. Doch "Allan Align" und der Sprung Grubers in die Menge lässt die zahlreichen jungen Frauen, die sich dem Personenkult verschrieben haben, gleich wieder ihren wahren Missionar anhimmeln. Was zu jenem Pogo führt, der eigentlich bei dem Metallica Cover "For Whom the Bell Tolls" einsetzen sollte. Würde man dieses Stück kennen.

Der tosende Applaus am Ende und der gleich darauf folgende Weg Grubers zu seinen Jüngern fördert eine Erkenntnis zu Tage, die so bittersüß ist, wie seine Musik selbst. Drangsal wird nie "die Gruppe Drangsal" sein. Das vorliegende Phänomen baut sich lediglich um das gleichsam unverfrorene wie spitzfindig-liebenswürdige Spiel Grubers mit seiner eigenen kompromisslosen Persönlichkeit und den Medien. Recht so. Der weichgespülte Diskursrock-Mist soll endlich vollends ad acta gelegt werden. Unser dank Komplexität bis zur Bewegungslosigkeit erstarrter Alltag hat im kleinen Rahmen konsumierbare Skandale, Randale, Eklat und Erotik bitter nötig. Dafür brauchen wir die Musik Drangsals. Für die Zersetzung der Vielschichtigkeit. Deswegen hoffen wir auf eine bald erscheinende zweite Platte. Über die sich dann jeder sein gut situiertes Maul zerreißen kann. Wir werden dabei sein.

Photographische Rekonstruktionen der Schauen von Drangsal und Der Ringer erreichen Sie per Klick. Wir empfehlen Ihnen, Ohren an der Musik von Der Ringer und Drangsal zu riskieren. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Human Abfall hören.