Fragmente

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Frühling der Existenz.

Das Beatpol beraubt Deafheaven.

Es regnet auf uns, als wir uns im Osten dieser Nation wiederfinden. Wo die westlichen Bundesländer nur als „Drüben“ bezeichnet werden. Wo alles scheinbar die Hälfte kostet. Wo der Hoffnungsschimmer von damals im heutigen Schulterzucken der Resignation verpufft. Jeder Meter in diesem Dresden scheint mit einer Schicht Staub überzogen. Staub auf den Straßen. Staub auf den Herzen. Doch darunter schlummert etwas. Etwas, das wir noch nicht in Worte fassen können. Es bemächtigt sich unser, als der Widerhall unserer Tritte auf das Kopfsteinpflaster die Totenstille dieser Nacht ins Jenseits befördert. Selbst vor unserem nächtlichen Ziel, dem Beatpol, herrscht Geräuschlosigkeit. 

Dabei ruft dieser Ort geradezu nach eklektischer Opulenz. Stuck verziert eine von Säulen über alles erhobene Decke, während eine wuchtige, doch noch stumme Bühne sich in den Raum schlängelt wie eine Bergzunge irgendwo in den Alpen. Davor: Raum. Dies könnte der Tummelplatz für Freidenker sein. Der Spielplatz für einen Neuanfang. Der Bauplatz einer neuen Nation. Frei von Fremdenhass. Wenn wir nur wollen. Wäre da nicht diese Zurückhaltung.

Von der Wucht der Zurückhaltung.

Der Abend hingegen verspricht eine Kopfwaschung. Deafheaven, die viel zu oft als „Hipster-Black Metaller“ gescholtenen Genre-Verweigerer, stellen ihre aktuelle Platte „New Bermuda" in europäischen Gefilden zur Schau. Und wollen damit den impliziten Vorwurf in Luft auflösen, der im Wort „Hype“ immer mitschwingt: Dass die Truppe aus San Francisco mit dem pinken, Existenz-schaffenden „Sunbather“ ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hat. Der mit keiner Kreation zu toppen wäre. Wohlan. Die Band hat das Wort und erklimmt nun endlich die Bühne. Wir drehen unsere Köpfe und–

–Wucht schlägt uns entgegen. Unglaublich laut rollt der Album-Opener „Brought to the Water“ von der Bühne. Trocken und knochig werkt die Rhythmus-Truppe den Unterbau dieser schwarzmetallischen Riffschau in den Raum und errichtet ein musikalisches Monument – zerlegt nun von George Clarkes gekeiftem „Where has my passion gone“. Die Eröffnungs-Nummer ist dabei inhaltlicher wie thematischer Taktgeber dieses Abends. Jener steht im Zeichen der aktuellen Platte, die programmatisch den Zuschauerreihen gespien wird. 

Unbeirrtum.

Von Existenz soll sie handeln. Davon, wie es sich anfühlt, in der Welt seinen vielleicht vorbestimmten Platz gefunden zu haben. Von den zermürbenden Tagen, die nur im Lichte der Routine glänzen. Aufgeschlüsselt in rasende Black Metal Wutausbrüche und nostalgisch-verträumte Post-Rock Melodiebögen. Als visuelle Untermalung jener thematischen Selbstreflexion richtet die Truppe die Scheinwerfer auf das Publikum. Und hinterlässt nur Schatten. Stoisch mit Instrument. Exaltiert tanzend und gestikulierend mit Mikrofon. Und die Zuschauer? Ach, Zurückhaltung, da bist du wieder.

Unbeirrt jedoch Deafheaven. Kaum eine Truppe strahlt in ihrer musikalischen Exekution mehr Konsequenz aus. Nur so löst sich der sinnlose Szene Dresscode im Kill ’em All-Shirt Kerry McCoys auf. Nur so folgt auf einen Blastbeat ein Björk-Lick. Nur so wird New Bermuda zur triumphal-kongruenten Weiterführung dessen, was auf Sunbather gestartet wurde. Nur so wird Baby Blue zur ehrlichen Offenbarung blutsaugender Fehler, dessen emotionales Crescendo selbst einem gestandenen Mann die Tränen in die Augen treiben kann. Und den musikalischen Höhepunkt dieses Abends darstellt.

Alles nur geklaut.

Verhalten jedoch die Zuschauer. Nach wie vor. Erst als der finale Teil der Setlist „Sunbather“ mit Leben füllt, meldet die tumbe Masse kurz Anwesenheit an. Was jedoch je verebbt, als die finalen Töne der Deafheavenschen Existenzfragen in die Wände des Beatpols kriechen. Wortlos stürmt die Band von der Bühne. Ob unbeeindruckt vom Phlegma des heutigen Auditoriums, lässt sich kaum sagen. Doch fällt uns da auf dem Weg nach draußen nicht plötzlich Staub auf die Schultern? Und führt das logische Weiterdenken des Leidenswegs New Bermudas nicht zwangsweise zu diesem einen Moment, der uns aus der Starre der Routine herausreißt? Vielleicht mussten Deafheaven heute und hier genau dafür herhalten. Und wurden ob jenes Verdiensts folgerichtig der Zuschauerreaktionen beraubt. 

Eine photographische Rekonstruktion finden Sie hier