Wolf Mountains und Gurr im Merlin Stuttgart.
Mehr als 750.000 Menschen gingen vergangenen Samstag auf die Straßen Washington, D.C.s, um für die weibliche Emanzipation zu demonstrieren. Doch die beeindruckende Versammlung hätte gut und gerne auch unter dem Banner Anti-Trump-March stattfinden können. Zu groß ist die Ablehnung dieses rückwärtsgewandten, selbstverliebten und mit der Aufmerksamkeitsspanne eines Kleinkind ausgestatteten Vollidioten, der jetzt zum "Leader of the free world" angelobt wurde. Was die USA entgegen aller Versprechungen eben noch mehr spaltet, als vor der Wahl und sogar Konservative auf die Straßen vor dem Kapitol treibt. Denn Fotos von der Menge lassen im Kopf folgende Adjektive entstehen: Alt, jung, groß, klein, schwarz, weiß, braun, geschminkt, ungeschminkt, weiblich, männlich, trans, hetero und homo.
Sie alle waren auch im Merlin Stuttgart willkommen. Doch ihr Ziel wäre nicht gewesen, ihrem politischen Unmut Ausdruck zu verleihen – sondern ihm zu entfliehen. Und wie könnte das besser von Statten gehen als mit Wolf Mountains und Gurr?
Denn die Wurzeln der drei Musiker Wolf Mountains, die aus dem Uterus der "schlimmsten WG Stuttgarts" in der Steinstraße entstiegen sind, liegen klar im Surf- und Pop-Punk der 80er kalifornischen Anstrichs. In den stumpfen, stümperhaften, sonischen Explosionen all derer, die die einfachen Dinge besingen und bespielen wollen: Girls und Boys, Sommer, scheiß Arbeit, scheiß Schule. "Birthday Songs for Paul" heißt die letzte Platte. Sie soll Paul von Human Abfall gewidmet sein.
Die Wiedergeburt der Kompositionen jener Platte im Live-Kontext bedeutet, dass sich ein Tier namens Kevin Kuhn das Seelchen aus dem Leibe prügelt. Ein Schlagzeuger, der mit Ansagen, die hinter einem ein Eigenleben führenden Haarvorhang ins Publikum gerotzt werden, neben Thomas Zehnle, dem stillen und schmächtigen Monolithen am Bass und Reinhold Buhr, dem zurückhaltenden Sexappeal der Band, zum Mittelpunkt der Truppe emporwächst. Die wunderbar schräg miteinander harmonierenden Stimmen Kuhns und Buhrs führen den laut Kuhn musikalischen "Ausdruck unserer Ablehnung gegen die Konvention" in unterschiedlichste, mit stilistischer Versiertheit dargebotenen, Gefilde. Ob nun Garage Rock, Lo-Fi oder Blues. Allen mit einem Motor aus missbilligendem Dillettantismus angetriebenen Vergnügungsfahrten in Genre-Schubladen wohnt der egalitäre Geist der Autonomie, der Selbstbemächtigung, der Geringschätzung allen Ernstes inne.
Es sind jene mit schelmischem Grinsen verlautbarten Bekanntmachungen wie "Gebt uns mal zehn Sekunden Zeit zum Posen, damit wir morgen auf allen Blogs gut aussehen", mit denen Kevin Kuhn das Selbstverständnis der Wolf Mountains auf den Punkt bringt. Diese Truppe nimmt nichts ernst, schon gar nicht sich selbst. (Vexierfrage d. Red.: Außer vielleicht den Anspruch, ihre Musik so zu gestalten, dass sie damit nichts ernst nehmen müssen?) Deswegen beginnen sie Songs einfach ein zweites Mal, wenn der erste Versuch nicht gefallen hat. Deswegen komplettiert Kevin Kuhn eine Spitze gegen Trump mit einem schulterzuckenden "Ist ja egal". Deswegen wird ein weiterer Song spontan ans Set gehängt, obwohl man sich gerade verabschiedet hat. Und deswegen changiert die Meute im Merlin zwischen tanzen und applaudieren.
Denn des Wolfbergs Kern ist die Zerstreuung im Wortsinn. Sie wollen die Komplexität der Dinge nicht mit komplizierten Kompositionen weiter potenziert sehen. Sondern mit der Klinge der Simplizität in leicht konsumierbare Häppchen zerstückelt wissen. "Summer's Gone" heißt ein Song der Wolf Mountains. Doch Summer's Never Gone, wenn wir der Maxime der Truppe folgen, und uns in der hedonistischen Verfolgung aller Instinkte tatsächlich unseres Selbst bemächtigen. Ein Selbst, das gerade in Zeiten Trumps von prekären Eingriffen bedroht ist, in seiner Emanzipation eingeschränkt zu werden.
Folglich gibt es kaum stärkere Zeichen gegen den in jeglicher Hinsicht schrecklichen und abzulehnenden Inhalt der "Grab 'em by the pussy"-Denke alter, privilegierter, weißer Männer als die Songs Gurrs. Performten Andreya Casablanca und Laura Lee – damals noch am Schlagzeug – Anfang 2016 noch als Trio mit Leihbassisten im Zwölfzehn lediglich vor einer Hand voll Leuten, konnten die beiden Bandgründerinnen seit dem Release ihres Debüt-Albums "In My Head" einen Senkrechtstart sondergleichen hinlegen. Zuletzt interessierten sich sogar der Guardian und die BBC für die beiden.
Der selbst geschaffene Begriff "First Wave Gurrrlcore" ist zwar Schmarrn, pardon, Schmarrrn, denn die Musik Gurrs ist nichts mehr als die recht simple Fortführung der Riot Grrrl-Tradition. Doch auf irgendetwas muss dieses mediale Interesse doch gründen. Wohl ist es eben diese frische, dem Hedonismus frönende Attitüde, die Gurr umgibt. Gerade dann, wenn Andreya Casablanca im extravagant bemusterten Jumpsuit samt türkiser Gitarre über die Bühne springt und grinsend das Alpha zum mittlerweile ebenfalls die Gitarre bedienenden Omega Laura Lee mimt.
Zwar hat die Truppe etwas an ihrer sympathischen Verpeiltheit eingebüßt, die die Sets im Zwölfzehn und unlängst auch in der Schachtel noch umgaben. Denn das mit Bassistin und Schlagzeuger komplettierte Line-Up ist der Professionalität der Schau zweifelsohne zuträglich. Und Gurr sind durch zahlreiche Shows freilich zur gut eingespielten Truppe geworden, die stimmlich und sound-technisch wenig Wünsche offen lässt. Doch versprüht die sichtliche, ehrliche Freude Lees und Casablancas an den zahlreichen Besuchern und dem schieren Fakt, dass dies wegen ihnen so zahlreich ist, nach wie vor eine Frische, die – man schreckt fast davor zurück, es so banal zu formulieren – unglaublich gut tut. Die Besucherschaft, der sich jedes börsennotierte Unternehmen dieser Welt nicht nur in Sachen Frauenquote dicke Scheiben abschneiden sollte, gibt ihnen diese Freude postwendend zurück.
Gurrs größte Stärke ist demnach nach wie vor ihr instinktives Gebaren. So lacht der Schalk aus Casablancas Ansage "Der geht raus an alle Schulen.", die von Lee grinsend mit "Ihr wisst, wer ihr seid", vervollständigt wird. So scheint Casablanca schier nicht stillhalten zu können, wenn sie ihre Power-Chords wegschrammelt und muss sich während "Klartraum" ihrer Gitarre gar entledigen – um ihre beeindruckende Stimmgewalt mit selbstvergessenem Gezapple zu untermalen, das sogar Kathleen Hanna ein zufriedenes Nicken entlocken würde.
"Wir nehmen Teil an der Belanglosigkeit", singt das Duo in "Walnuss". Zweifelsohne. Doch steckt hinter dieser vermeintlichen Banalität eine todernste Message. Denn die selbstbewusste Zurschaustellung des von keiner Ungerechtigkeit, Despektierlichkeit, Unterdrückung, oder gar Gewalt zu erschütternden Positivismus dieser beiden Frauen ist das wünschenswerte Resultat der wirklichen Gleichberechtigung der Frau. Dass wir dort noch lange nicht angekommen sind, nein, dass wir sogar Rückschritte machen, macht uns dieses Gebaren zu jeder Sekunde gewahr.
Genau deswegen lädt Gurr das Publikum heute auf die Bühne ein. Um gemeinsam symbolisch am Women's March in Washington, D.C. teilzunehmen und "Hollaback Girl" von Gwen Stefani zu intonieren. Und stellt ein für alle Mal unter Beweis, wofür diese Band steht: Für die Autonomie der Frau, die alles andere als Banane ist. Dass diese Formen der Souveränität und des Eskapismus im "Es isch halt so"-Sicherheitsrahmen Stuttgarts nichts wirklich neues sind, versteht sich von selbst. Doch dass ein machtgeiles, sexistisches, rassistisches, narzisstisches Arschloch an der Spitze einer ziemlich großen Nation mit ziemlich großen Bomben steht, ist schließlich auch nichts neues.
Zum Ende nun noch ein paar Bands und Namen, die man sich in diesem Internet mal reingefahren haben muss, wenn man Wolf Mountains liest, kennt oder gehört hat, und beim nächsten Bier im Merlin zwischen den Stuttgart-Pros auch dazugehören will: Die Nerven, Karies, Mosquito Ego, All Diese Gewalt, Melvin Raclette, JFR Moon, Human Abfall, Second Hand Records, Treibender Teppich Records, Sunny Tapes.
Eine photographische Rekonstruktion der Schauen von Wolf Mountains und Gurr erreichen Sie per Klick. Wir empfehlen den legalen Erwerb der jeweiligen Platten "Birthday Songs for Paul" und "In My Head". Die Revuen von Wolf Mountains und Gurr waren Teil des Pop Freaks Festivals im Merlin Stuttgart. Wir empfehlen das Beiwohnen bei einer oder mehrerer der im Zuge jener Festivität noch geplanten Shows. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Human Abfall hören.