dälek live im Komma Esslingen.
Vor einem Tag erschoss ein gewalttätiger weißer Mann in den USA 26 Menschen in einer Kirche. Er hätte keine Waffe besitzen dürfen. Während vor nicht einmal einem knappen Monat ein anderer weißer Mann 59 Menschen in Las Vegas erschossen hat. Auch er hätte nicht an Waffen kommen dürfen. Aber: Die verkaufen sich eben so gut. Und die National Rifle Association investiert schließlich genügend Kohle für Lobby-Arbeit und um waffenfreundliche Politiker zu installieren. Sie gibt sich ja auch so viel Mühe, Gesetzesänderungen für genau diese Politiker dann vorzuschreiben, damit sie eben noch mehr Waffen an den verwirrten Mann (und die verwirrte Frau) bringen kann. Klar, dass diese Politiker mit dem blutbefleckten Geld in den Taschen dann nicht mehr als "thoughts and prayers" für die Toten und ihre Angehörigen übrig haben. Und direkt nach einem Attentat natürlich nicht den Zeitpunkt sehen, an dem man über Änderungen am Waffengesetz sprechen sollte. Wohlgemerkt: Nach einem Attentat von einem ebenso verwirrten Mann, der sich aber zum IS bekennt, bietet sich hingegen der perfekte Zeitpunkt, um den absolut unsäglichen, rassistischen und willkürlichen Travel Ban wieder zum Thema zu machen. Der IS zahlt wohl nicht genügend Lobby-Gelder.
Während wir uns über dieses Paradoxon noch wundern, reiben sich die Unternehmer der NRA, der Pharma-Unternehmen, internationalen Banken und Politiker weltweit die Hände. Denn sie haben ihre veruntreuten Gelder – auch durch Lobby-Arbeit! – mit Hilfe von ausgefuchsten Wirtschaftsspezialisten durch Steuerschlupflöcher hindurchgeschleust und auf sicheren Konten auf den Cayman Inseln geparkt. Da liegt das Geld ja auch angenehmer als auf den Konten von Menschen, die 40, 50, 60 Stunden in eins, zwei, drei Jobs arbeiten müssen, aber kaum ihre Wohnkosten bezahlen können, von Urlaub sowieso nur träumen und dann an Arztrechnungen scheitern, weil die Kohle nicht nur ihnen fehlt, sondern auch dann, wenn es um die Unterstützung des Gesundheitssystems geht. Aber keine Sorge, die Rechtsparteien, White Supremacists, Alt-Righters, Neurechten und wie sie alle heißen haben einen einfachen Feind dafür gefunden: Die Ausländer! Diese sind schließlich auch das einfachste Opfer. Genau wie Frauen, deren jahrelange, flächendeckende Misshandlung, sexuelle Belästigung oder Herabwürdigung gerade erst – wenn wahrscheinlich auch erst in viel zu kleinem Ausmaß – ans Tageslicht kommt. Was soll dieser ganze Scheißdreck eigentlich? Hat die Welt denn nichts gelernt? Hat man in den 60er Jahren Gewalt, Anstrengung, Proteste und Demonstrationen in Kauf genommen, um sich sexuelle Freiheit zu erkämpfen – nur um jetzt mit Meinungen, Haltungen und Verhalten konfrontiert zu werden, die all diese Kämpfe ad absurdum führen? Hat die Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King für die Gleichberechtigung von Schwarzen nicht ihr Leben riskiert – und in vielen Fällen verloren – nur um jetzt zusehen zu müssen, dass die Gewalt an und die ungleiche Behandlung von Afroamerikanern in den USA ein Ausmaß annimmt, dass die Apartheid in Südafrika noch in den Schatten stellt? Und das ist bei Weitem nicht alles. Von Trump, Putin, Erdogan, Orban, Jong-Un, Gauland und Co. möchte man gar nicht erst anfangen. Es ist zum Kotzen. Machtgeile Arschlöcher soweit die tränenden, wütenden Augen reichen. Und der "einfache" Mensch ist gefangen in einem System des Turbokapitalismus, der von ein paar Privilegierten die Regeln machen lässt, die weltweit verkauft werden und die so clever sind, uns unsere eigene Ausbeutung noch als persönliche Freiheit zu verkaufen. Für wie dumm werden wir verkauft und für wie dumm lassen wir uns eigentlich gerne verkaufen, wenn die Adidas-Sneaker ja so schön weiß sind, und von fucking Kanye West design werden, während sich nackte Kinderfüße in Bangladesch blutig laufen, um eben diese Sneaker zusammenzuschweißen?
Wie reagiert man als halbwegs denkender Mensch, der sich nicht komplett dem Nihilismus hingeben will, auf diese Ungerechtigkeiten, auf dieses offensichtliche Scheißen auf das Leben des Einzelnen zur Gunst des Machtgewinns von ein paar wenigen, die es teilweise nicht mal für Wert befinden, den Dreck an ihren ekelhaften Stecken sachgemäß zu verstecken?
Heute halten wir es mit einer gehörigen Portion dälek, die im Jahr 2016 endlich wieder zueinander gefunden und die viel gelobte LP "Asphalt for Eden" veröffentlicht haben, um im August diesen Jahres "Endangered Philosophies" auf Ipecac Recordings nachzuschieben. Endlich, weil dälek seit Jahren als absoluter Geheimtipp in Sachen Hip Hop gilt. Zwar wird ihnen einhellig unterstellt "Experimental" zu sein, doch die Band selbst versteht sich als Kernvertreter der ursprünglichen Idee des Hip Hop, die darin besteht, in möglichst vielen Genres zu "diggen", die interessantesten Versatzstücke herauszufischen und zu Songs zu amalgamieren. dälek glänzen demnach seit 1998 in ihren Mixturen mit einer Abwesenheit von Scheuklappen und verbinden darin Krautrock, Industrial, Noise, Drone, Ambient und Shoegaze mit kaskadenförmiger Lyrik. 2017 begleiten statt den früheren Mitgliedern Oktopus und still die beiden Produzenten und DJs Mike Manteca und DJ Erk das Gründungsmitglied MC dälek und das Trio konnte – scheinbar ohne Probleme – mit ihren Werken an ihre alten Großtaten anschließen. Und heute steht die aus Newark, New Jersey stammende Gruppe auf der Bühne des Komma in Esslingen.
Ohne Umschweife öffnen die drei eine Tür zur Basis des Sounds und lassen ihn in seinen dunkelsten Ausprägungen, verworrensten Sprengungen und nebulösesten Wirrungen aus den Boxen wie einen reißenden Fluss gen Publikum schießen. Gehen mit stoischer Ruhe vor, mit maximaler Konzentration auf ihre sodann mit mathematischer Präzision einsetzenden Verwerfungen und mit introvertierter Hingabe an die Tightness ihrer Show. Als vollkommener Antagonist zu ihrer Ruhe feuert jedoch ihr Soundmonster aus Industrial-Flächen, Hip-Hop Breakbeats, Noise und Drones in alle Ecken. Zermörsert das nur massentaugliche Bild von Hip Hop, zerstört, zerreißt, zerdrückt, zerbricht. Übertönt in seiner Allmacht die in ihrer Phrasierung wirkungsvoll eintönigen lyrischen Eskapaden MC däleks, der scheinbar wuchtig und unzerrüttbar für Widerstand, Veränderung, Hoffnung und Protest plädiert.
Doch er geht unter. Er löst sich auf. Trotz seines kraftvollen Organs schafft er es nicht, gegen das Monster anzukämpfen. So soll es sein. Denn wo MC dälek lyrisch eingesteht, dass auch er nicht die Antworten auf die Ungerechtigkeiten der Welt hat, spiegelt sich diese Machtlosigkeit im Sound und in den eindrücklichen Visuals dieser Gruppe wieder. Alles löst sich auf. Nichts ist mehr klar. Nicht einmal mehr wissenschaftlich Bewiesenes hat heute mehr eine Bedeutung, wenn es für jeden Fakt einen alternativen Fakt gibt. So verschwindet das projizierte dälek-Logo in der Unschärfe, so zerlaufen die Aufnahmen von den Kämpfen Malcolm Xs, MLKs, den Black Panthers, der SNCC, die mit der aktuellen Gewalt gegen Afroamerikaner in den USA konterkariert werden. Und so wird der hypnotische, bastardisierte, wütende, wichtige Sound dieser wertvollen Gruppe zum Sinnbild für die Conditio Humana des Hier und des Jetzt. Denn wir gelten nicht mehr als ganze Menschen. Wir zählen nur mehr als Kaufkraft. Als manipulierbare Masse. Als Vieh, das an der Nase herumgeführt wird, um die Taschen und die Macht von ein paar weißen, korrupten, Privilegierten Arschlöchern zu vergrößern, denen unsere Umwelt, unsere Tierwelt und die Gesellschaft weniger Wert ist als die Ware Geld. Und das wirklich traurige daran ist, dass wir das eigentlich längst gelernt haben müssten.
Die wütende Suggestivfrage "What's to win, when nothing's left?" aus "Masked Laughter (Nothing's left)" wird denn auch zum Highlight dieses Abends. Wenn Death Grips als die Live-Band der Zukunft gilt, dann ist dälek neben Algiers eine der relevantesten Bands der Stunde.
Eine photographische Rekonstruktion der Schau erreichen Sie per Klick. Alle Photos stammen von Isabel Thalhäuser. däleks letzte Platte "Endangered Philosophies" ist bei Ipecac Recordings erschienen. Wir empfehlen den legalen Erwerb und in diesem Zuge auch die Auseinandersetzung mit dem restlichen Katalog der Gruppe. Sie werden es nicht bereuen. Wir danken dem Komma für das Organisieren dieser Show und sind im Übrigen der Meinung, Sie sollten mehr Sun Worship hören.