Fragmente

View Original

Transzendenz ins Jetzt.

Pabst live am Maifeld Derby 2017.

Draußen, in einer anderen Zeit, da heizt die Sonne auf die Erde. Und drin im Dunkel unter dicken Planen, dort links, in der Nähe des Eingangs, stehen ein paar 60er Psychedelic Rocker und schütteln ihre Lockenmähnen. Sie tragen Schlaghosen, blumige Hemden und grinsen etwas debil. Vor dem Techniker steht eine Horde 90er Grunge Kids in abgetragenen Pullis. Eigenartig nach innen gekehrt, wippen sie zum warm atmenden Schlagzeug und zu den verzerrten Chords hin und her. Ihre Blicke sind unterkühlt. Dann und wann schreit einer. Um sie herum schubsen sich silberne Sneaker tragende 00er Nihilisten mit in Lederjacken gehüllten 80er Garage Rock Revival-Anhängern. Sie alle atmen den Sound alter Zeiten, während die Luft knapper wird, die Temperatur immer weiter steigt und ihre Klamotten immer nasser werden. Sie alle sind aus der Vergangenheit hier, weil Pabst hier sind.

Auf dem Brückenawardzelt des Maifeld Derby lassen sich Erik Heise, Tore Noah Knipping und Tilman Eggebrecht ihre Aufregung nicht anmerken. Ausgelassen und selbstsicher schrammeln sie sich ungezügelt durch ihr kurzweiliges Set. Selbst wenn man sie bemerken würde, würde man sie ihnen verzeihen. Denn das Trio aus Berlin hat gerade mal eine Handvoll Shows auf dem Konto und erst letzten November ihre Debüt-EP "Skinwalker" bei Crazy Sane Records veröffentlicht. Doch wenn das Material stimmt, kann es noch so jung sein. Das Haus wird stehen.

Oder eben eingerissen, wie Pabst es am heutigen Tage nicht nur vorhaben, sondern auch bewerkstelligen. Denn trotz – oder gerade wegen – sympathischer Stimmprobleme Heises, gelingt Pabst etwas, das nur wenigen gelingt. Denn ihre ins DIY-Pool getauchte Mischung aus Garage Rock, Psych Rock, Grunge und Stoner klingt ausgenommen zeitgemäß. Wurden die Songs des heutigen Sets vor einigen Monaten noch in einem Berliner Studio unter widrigen Bedingungen auf digitale Medien gebannt, schallen sie heute durch die amtliche PA des Maifeld Brückenawardzelts – und entfalten ihre vollendete Wirkung. Denn mit Gitarre, Schlagzeug und Bass ziehen Pabst einen Graben einmal quer durch die Geschichte unpolierter, frei mäandernder Rock-Musik. Sind an den richtigen Ecken unfertig, an unerwarteten Stellen überraschend zündend und pfeifen nebenher auf jeglichen Respekt vor dem Renommee dieser Bühne und den mit ihr einhergehenden hohen Erwartungen. "Ohne Scheiß. Ihr seid unser bisher größtes Publikum!", meint Heise, bevor er auf die Monitore vor ihm klettert und sich voller Kraft in seine Gitarre wirft.

So nimmt uns das treibende "Skinwalker" an der Hand und schleift uns durch die Sechziger, während das verträumte "Ocean Cruise" an die Großzeiten Nirvanas erinnert und die Grenzen zum Stoner Rock eintritt. Druckvoll verzerrt, kraftvoll groovend und mit einem glasklaren Sound wirft uns das junge Berliner Trio ihre Kompositionen entgegen. Doch da ist mehr. Denn Pabst vergehen sich nicht nur an den musikalischen Referenzen, sondern zerpflücken ebenda die Ästhetik, die jene Genres unweigerlich begleitet. Verbinden etwas Cloud-Rap mit 90er Revival, Schnauzbart mit Tennissocken. So zehren sie sich an unzähligen Verneigungen an das Gestern, um sich für den Weg ins Morgen zu stärken. Und transzendieren die Rückwärtsgewandtheit, die jene Genres leider auch oft begleitet, ohne Rücksicht auf Verluste in das Hier und das Jetzt. Das behalten heute Pabst, die mit einem wohlverdienten Applaus von der Bühne stapfen. Und baldigst einen Longplayer nachlegen sollten.

Eine photographische Rekonstruktion der Schau von Pabst erreichen Sie per Klick. Alle Photographien stammen von Isabel Thalhäuser. Die EP "Skinwalker" ist bei Crazy Sane Records erschienen. Wir empfehlen den legalen Erwerb. Dieser Abriss ist Teil unserer Berichterstattung zum Maifeld Derby 2017. Weitere Photographien und Abrisse zu dem Festival finden Sie hier. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Human Abfall hören.