Fragmente

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Dialektik des Bock.

Priests live im Komma Esslingen.

Ich hab keinen Bock auf die ganzen Leute in der Bahn. Ich hab keinen Bock auf ihre vom Smartphone beleuchteten Fressen. Ich hab keinen scheiß Bock auf die Selfies, die sie machen. Keinen Bock auf die Essensfotos, die sie bei Instagram liken. Keinen Bock. Ich hab keinen Bock auf die Nachrichten, die sie lesen. Keinen Bock auf dieses größte aller Arschlöcher namens Donald Trump. Keinen Bock auf seine beschissenen, untergriffigen Tweets. Keinen Bock auf die Nachrichten vom nächsten Anschlag. Ich hab keinen Bock auf all diese sinnlose Gewalt. Ich hab keinen Bock auf ihre scheiß Religion. Keinen Bock auf das nächste von reichen, fetten, egoistischen Arschlöchern beschlossene Abkommen.

Keinen Bock auf die Fotos der Anzugträger, die sich gegenseitig gratulieren. Keinen Bock auf die Idioten, die dagegen auf die Straße gehen. Ich hab keinen Bock auf diese Blauäugigen, die noch nicht begriffen haben, dass keine Revolution mehr möglich ist. Ich hab keinen Bock auf die dummen Akademiker, die das mit dem Kapitalismus durchschaut haben. Keinen Bock auf die, die Teil des Systems sind, indem sie dagegen anschreiben. Keinen Bock auf die Kohle, die sie damit machen. Keinen Bock auf ihr akademisches Profilieren mit klugen Artikeln, warum keine Revolution mehr möglich ist. Ich hab keinen Bock auf ihre Fremdworte. Keinen Bock auf die Kommentare unter den Artikeln. Keinen Bock auf die Nazi-Diskussion. Keinen Bock auf die ganzen Leute.

Ich hab keinen Bock mehr, mehr zu wollen. Keinen Bock mehr, es zu versuchen. Keinen Bock auf die Hoffnung. Keinen Bock, nicht high zu sein. Ich hab keinen Bock. Keinen Bock auf meine eigene Profilierung. Keinen Bock, meiner Idee von mir selbst weiter nachzulaufen. Keinen Bock auf meine zynischen Witze. Keinen Bock auf meine verschränkten Arme. Keinen Bock auf meine Kommentare über die anderen. Keinen Bock mehr, meine Stimme zu hören. Keinen Bock mehr auf mein Spiegelbild. Keinen Bock mehr, in mir gefangen zu sein. Keinen Bock mehr, ich zu sein. Ich hab keinen Bock mehr. Ich hab keinen Bock. Ich hab keinen Bock mehr auf mich. Keinen Bock. Keinen Bock auf keinen Bock.

Denn ich hab keinen Bock mehr, keinen Bock zu haben. Ich hab keinen Bock mehr, es nicht zu versuchen. Ich hab keinen Bock mehr, keinen Lärm zu machen. Ich hab keinen Bock mehr, nicht aufzugeben. Ich hab keinen Bock mehr, zynisch zu sein. Keinen Bock mehr auf die einfachste Lösung. Keinen Bock mehr, keine Hoffnung zu haben. Keinen Bock mehr, nicht an Selbstbemächtigung in dieser auf kapitalistische Selbsausbeutung gepolten Welt zu glauben. Ich hab keinen Bock mehr, nicht einfach das zu spielen, worauf ich Bock hab. Ich hab keinen Bock auf Diätpläne, um in einer Band zu spielen. Ich hab keinen Bock auf Dresscodes in einer Band. Ich hab keinen Bock auf zynische Kommentare von sich selbst profilierenden Möchtegern-Intellektuellen zu einer Band. Ich hab keinen Bock mehr, ohne Angst, Vorbehalte und Peinlichkeiten genau den Krach zu machen, auf den ich eigentlich Bock hab. Ich hab Bock auf Priests.

Ich hab Bock auf ihre Mischung aus Surf, Post Punk und Riot Grrrl. Bock auf die unversteckten Verneigungen Katie Alice Greers vor Kathleen Hanna und Patti Smith. Ich hab Bock auf die kindlich-unschuldigen Rockstar-Moves des Gitarristen GL Jaguar. Bock auf seine klirrend laute Klampfe. Bock auf seine Gemütlichkeits-Plauze. Bock auf seine Noise-Rock Licks. Bock auf seine einfachen, repetitiven Melodien. Bock auf die treibenden Beats aus den unruhigen Händen von Daniele Withonel. Ich hab Bock, dieser Snare noch ewig zuzuhören. Ich hab Bock auf den Bass Taylor Maulitz'. Bock auf diese lässig unlässige Zurückhaltung. Bock auf diesen Groove. Ich hab Bock darauf, wie sie gemeinsam Songs aufbauen, nur um sie gegen die Wand zu fahren. Ich hab Bock auf ihre schnellen Eruptionen. Ich hab Bock auf ihre atmosphärischen Tracks.

Ich hab Bock auf den verschwitzten kleinen Raum im Komma in Esslingen. Bock auf den Geruch der vergangenen Konzerte, der in der Luft lieft. Fuck, ich hab Bock auf den Rotz aller Konzerte. Bock auf das schummrige Licht. Bock auf das verschüttete Bier auf dem Boden. Bock auf das bisschen Getanze in den ersten Reihen. Ich hab Bock, nackt ins Stahlbad zu gehen und Breakdance zu üben. Ich hab Bock, gegen die Uhrzeit Marathon zu laufen. Ich hab Bock, mich mit Zuckerwatte-Weste in einen Kugelhagel zu stellen. Ich hab vor allem Bock auf die instinktiven Ausprägungen der Stimme von Katie Alice Greer, die mich dabei begleiten. Bock auf das Geschrei. Bock auf die gehauchten Worte. Bock auf die Spoken Word Phasen. Bock auf ihre direkten Lyrics. Bock auf ihre exaltierten Gestiken. Bock auf ihre beim Schreien aufgerissenen Augen. Ich hab Bock darauf, dass sie in jungen Jahren schon mit den ganz Großen mithalten kann. Ich hab Bock darauf, dass sie mit Priests zwar nichts Neues macht, das Alte aber verdammt gut kombiniert. Einfach weil die Bock drauf haben. Ich hab Bock darauf, dass die jetzt keine Zugabe spielen.

Ich hab Bock darauf, dass die einfach machen, worauf die Bock haben. Bock darauf, dass sie beim Primavera Sound vor zehntausend Menschen spielen können, und vor zehn genauso 'ne Show abziehen. Ich hab Bock darauf, dass die sich mit Sister Polygon Records ein eigenes Label geschaffen haben. Ich hab Bock darauf, dass die dadurch noch mehr machen können, worauf die Bock haben. Ich hab Bock darauf, dass die sich in einer auf Selbstausbeutung gepolten Welt nicht von ihrem Selbst ausbeuten lassen. Ich hab Bock darauf, dass ihnen nicht alles egal ist. Ich hab Bock darauf, dass sie für Gleichberechtigung, Eigenständigkeit, freies Denken stehen. Ich hab Bock darauf, dass ihnen nicht alles egal ist. Ich hab Bock darauf, dass sie es für Wert befinden, dagegen zu sein Wogegen auch immer. Ich hab Bock darauf, dass sie Bock auf die anderen Leute haben. Auf Leute wie mich.

"Nothing Feels Natural" ist bei Sister Polygon Records erschienen. Hier lesen Sie eine Besprechung der Platte. Unlängst ist "Early Recordings" bei Tough Love Records erschienen. Wir empfehlen jeweils den legalen Erwerb. Am besten natürlich bei X-Mist. Wie das Wachbleiben in Sachen Priests. Denn wir haben ein Gefühl, dass Sie diesen Namen in Zukunft vermehrt zu lesen bekommen werden. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Human Abfall hören.