Fragmente

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Pop Freaks: Wir haben's gewusst.

Erregung Öffentlicher Erregung im Merlin Kulturzentrum im Rahmen des Pop Freaks Festivals.

Die Welt geht unter. Immer noch. Das erregt. Denn die Schuld daran haben ein paar reiche, weiße Männer, die sich im Rausche der riesenhaften, aus haltlosen und inhaltsleeren Finanzversprechungen der arbeitenden Gesellschaft per Knopfdruck (really big Knopf!) abgeschröpften und auf die Virgin Islands verfrachteten Vermögen gegenseitig die Weltgesetze zurechtbiegen und auf eh alles scheißen, auf das man scheißen kann (sodass Sätze, dies zu beschreiben, gar nicht länger sein könnten [aber vielleicht noch viel länger sein sollten]). Und das ist erregend. Was? Na weil kaum etwas romantischer sein könnte, als die letzten Nächte der Menschheit.

Der Fitness-Insta-Kanal ist egal. Die innere Unruhe, weil man das neueste Paar Yeezys noch nicht sein Eigen nennt und wirklich, ehrlich und nachhaltig Gefahr läuft, nicht mehr zu denen zu gehören, die den neuesten Scheiß tragen. Auf die Arbeit kann geflissentlich gepfiffen werden, das bisschen Geld, was da ist, muss eh noch ausgegeben werden. Das in der zusehends unsichtbarer werdenden Masse florierende Abgrenzen von Anderen zur Bestimmung der eigenen Identität mittels von viel zu reichen (siehe oben), cleveren Geschäftemachern (like, really smart), als "anders" verkauften Modelinien (Sweater ohne Aufdruck!) – die am Ende natürlich wieder alle tragen, weil alle den gleichen Bloggern folgen – wäre dahin. Kurz gesagt: Konsequenzen irrelevant. Was zählt, ist das, was uns eint: Die dem Untergang geweihte Freude an den letzten Momenten unserer Existenz. Erregung Öffentlicher Erregung wissen das. Die Pop Freaks wissen das. Und, mal ehrlich, eigentlich wissen wir das auch. Wir wollten's nur nicht glauben. Gut, dass EÖE das Pop Freaks Festival im Jahre 2018 a.D. eröffnen – und uns ihre Sicht der Dinge in Ohren und Gesichter schleudern dürfen.

Ihre Schau als Unterstützung von Der Ringer im Februar des letzten Jahres hat es offeriert, die EP "Sonnenuntergang über den Ruinen von Klatsch" hat es fundiert und nun wird es lautstark emphasiert: Erregung Öffentlicher Erregung treffen einen Nerv. Ihre musikalische Agitation zwischen Hans-A-Plast und Nena, zwischen romantisch-verträumter 80er-Nostalgie, zwischen treibend-eruptivem Punk und repetitiven Krautrock-Versatzstücken entzückt. Denn das Amalgam ist nicht marktkonformer Selbstzweck, sondern Ausdruck der liebenswerten Idiosynkrasie der einzelnen Mitglieder dieser Musikgruppe, die im Miteinander zur furiosen Sympathie anschwillt. Die von exaltierten Ausschlägen unterbrochene nasale Lethargie Kastens, der stoisch treibende Bass Bauers, das kraftvolle Getrommle samt Geschrei Schmids, die 70er Jahre Prog-Rock Moves des Mannes an den Synthies Tögels und die abgeklärte Egalität des Gitarristen Hagers. Nichts davon will verkauft werden, doch alles kauft man ihnen ab.

Wenn sie mehr Romantik fordern. Wenn sie auf ironische Weise die Möglichkeit der Unmöglichkeit des Zusammenlebens zweier vollkommen unterschiedlicher Menschen besingen. Wenn sie nicht aus der Disko nach Hause wollen. Wenn sie von der langwierigen Suche nach der Essenz der Existenz berichten. Man möchte mitfordern, man möchte mitsingen, man möchte mit ihnen herumirren. Denn die Erregung schraubt sich in träumerischer Explosivität in ungeahnte Höhen, beweist eine klare Steigerung zur Schau letzten Jahres – und eröffnet die Pop Freaks so, wie man den Kampf gegen die eingangs erwähnten reichen, weißen Männer beginnen sollte: Mit einem solidarisch verteilten, laut hörbaren Arschtritt. Kaum auszudenken, was von der angekündigten EP zu erwarten ist (falls die Welt dann immer noch steht [Wir glauben nicht]). Kaum zu glauben, dass das Booking der Pop Freaks schon wieder ein famoses Händchen beweist. Als hätten wir's nicht gewusst.

Eine photographische Rekonstruktion der Schau finden Sie hier. Shout-Outs gehen an Real War. Photos von deren Schau finden Sie hier. Alle Photos wurden von Isabel Thalhäuser geschossen. Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Berichterstattung zum Festival "Pop Freaks" im Kulturzentrum Merlin. Wir empfehlen, sich noch weitere der während des selbigen geplanten Shows – "reinzufahren". Gemeinsam mit verschiedensten Stuttgarter Designern wurden zum Behufe der Zelebrierung des Festivals diverse Poster gestaltet. Die finden wir sehr schön und Sie hier. Weitere Photographien und Texte zu den Pop Freaks finden Sie hier. Eine Wortwulst zur EP "Sonnenuntergang über den Ruinen von Klatsch" finden Sie hier. Sie ist bei EUPHORIE erschienen. Wir empfehlen wie immer den legalen Erwerb. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Sun Worship hören.