Fragmente

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Abgründe eines Dandys.

Alex Cameron live auf der Fackelbühne des Maifeld Derby 2018.

In der trivialen Beschreibung eines Dandys wird zumeist das Äußere des Phänomens in Augenschein genommen. Dem gegenüber steht der geistige Habitus, welchem kaum Bedeutung beigemessen wird. Im Zeitalter der ständigen Beschleunigung des Spektakels der Medien und des Transhumanismus' steht der Dandy ohnehin auf verlorenem Posten. Das Skizzieren eines veralteten Männlichkeitsideals wirkt überholt. Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff 'Dandy'? Inoffiziell kann man sagen: Ein Typ ohne Läuse, exzessiven Alkoholkonsum oder schlecht riechende Körperteile. Offiziell kann man sagen: Ein gut gekleideter, leicht feminin wirkender Typ, der sich durch besondere Eleganz auszeichnet. Der Dandy kombiniert also seine originelle und zu jedem Zeitpunkt gut sitzende Kleidung mit Witz und Bonmot. In der neueren Version des Begriffs tauchen jedoch auch Typen auf, die so wenig mit Gentleman-Manieren und gut sitzender Kleidung zu tun haben, wie Märchenprinzen mit dem realen Leben. Wir stellen fest: Eine begriffliche Klärung scheint von Nöten. Um für Klarheit zu sorgen, haben wir uns also dem Dandy des Maifeld Derbys 2018 angenähert: Alex Cameron. Bitte bewahren Sie nun Contenance, denn nicht alles, was hier steht, muss richtig und wichtig sein. Einen Versuch der Klärung des Klischees wagen wir dennoch.

Der dreckige Typ, der vor uns steht, war noch vor ein paar Jahren ein anderer. Früher hätte man ihm eher das Attribut eines gescheiterten Entertainers anheften können. Damals klebte er sich noch Falten und Pockennarben aus Latex ins Gesicht um gewollt hässlich aufzutreten. Heute steht vor uns ein bleicher Mann, der seine langen Haare mit zu viel Fett nach hinten pappt. Dazu trägt er eine ätzende Sonnenbrille im Sunnyboy-Look des Amerikas der 50er Jahre. Was ist nur passiert? Die Texte der heutigen Performance seiner Songs des Albums „Forced Wittnes“ liefern die Antwort. Das Internet. Pornos. Letztlich die Realisierung, dass das Hoffen auf „Happy Endings“ ein Irrglaube ist. Er selbst sagt, er "schreibe über Typen, die alleine am Tisch sitzen und deren Leben eine Vereinigung von mikroskopisch kleinen Tragödien ist.“

Während wir hier im Staub des Festivals stehen, bleibt uns da nur zuzustimmen. Dennoch kristallisiert sich, dass niemand derzeit so clevere, schmuddelig-schöne Texte über die Liebe schreibt wie Cameron. Verpackt in gerade so viel Ironie, dass einem noch nicht schwindelig wird. Slow. Räudig. Mit Beats, die völlig ironisch an Bruce Springsteen erinnern. Aber: Ist Cameron ein Dandy? Fakt ist, dass er gut gekleidet ist. Dass sein Wortwitz charmant ist. Dass seine Moves sich durch besondere Eleganz auszeichnen. Doch wir kaufen ihm das Getue noch nicht ab. Denn bei genauerem Lauschen wird klar: So einfach ist das doch nicht mit den Klischees.

Denn das einzig Spannende an diesem Look ist, dass er Teil der Strategie ist, die Cameron uns auftischt. Cameron bedient sich Pop-Beats und verwebt sie mit tiefgründigen Schicksalen. Songs wie ‚Runnin' out of Luck’ oder ‚The Hacienda’ erzählen von miesen Geschichten der Liebe. Von den Abgründen der männlichen Seele, die ein Netz aus Internet-Bekanntschaften, bezahlter Leidenschaft und Einsiedler-Leben in stinkenden Bars spinnen. Cameron inszeniert gewollt keinen individuellen Irrglauben, einer nach der idealen Liebe jagenden Person. Sondern schlägt den Bogen zu unserer Gesellschaft. Somit komponiert Cameron mit den jazzy Noten und cheesy Rhythmen eines poppigen Retro-Futurismus ein Spiegelbild des Amerikas, Europas oder Asiens, das Tausende dieses Männertypus’ hervorbringt.

Seine Dichotomie aus Inhalt und Verpackung zeigt, dass selbst in den süßesten Klängen eine Form von bitterem Leben verborgen sein kann, die zwar erstmal schmeckt, doch bei Überkonsum zu Übelkeit führt. Die Tatsache, dass nach dem vierten Song das Wort ‚Pussy’ kaum mehr zu zählen ist, lässt Cameron eher als Poet des Internetpornos zurück, denn als klassischen Dandy. Das alles hat wenig Charmantes an sich. Das ist bissig, brennt unter der Haut und wirkt ganz nebenbei auch zugegebenerweise ganz schön sexy. Ist das noch elegant? Feminin? Originell und zu jedem Zeitpunk gut sitzend? Sicherlich nicht. Schaut man genauer hin, entdeckt man in Camerons Theaterstück die tragische Romantik eines Einzelgängers und Arschlochs, der die Klischees der verlorenen Männerseelen nicht nur abarbeitet – sondern in jede einzelne schlüpft.

In seinem Spiegel der Klischees dieser beschissenen Welt gibt es keine Gerechtigkeit. Cameron mimt dreckige, räudige Typen, die sich zuckersüßer Töne bedienen, um damit nachts auf halbleeren Straßen nach dem weiblichen Geschlecht zu jagen. Die Frauen in den Nacken hauchen, um sie später erst abzufüllen und dann abzuschleppen. Seine Geschichten, deren Sprache noch geradezu ausreichend leicht zu entziffern ist, begegnen uns in einem Nihilismus, der ohne Scham seine Triebe und Neigungen auslebt, sich eine Welt komponiert und erdichtet, in der alles erlaubt ist und in der wir uns zu verlieren drohen. Nach dem Runterbrettern seines Albums und dem nicht mal bis zu Ende gespielten Hit „Stranger’s Kiss“ entlässt er uns mit der Entschuldigung, er hätte doch nur 50 Minuten Zeit, verstört und unbequem in den frühen Abend. Verdammt, der Dandy hat auch uns geködert.

Dennoch hat seine Posse gewirkt. Am Ende bleiben abgründige, schaurige Szenarien, die den Atem zum Stocken bringen und der manipulative Charakter eines Punk-Dandys, der die Unsterblichkeit in der Pop-Welt verdient hat. Ob er dafür überhaupt den Dandy spielen muss, bleibt fraglich. Denn vor uns auf der Bühne schleicht und lacht vielmehr ein Stratege erster Klasse, der über sein inszeniertes Konzept eines Dandys hinweg fliegt. Er spielt zwar die Rolle des charmanten Dandys – mal talentiert, mal gebrochen, mal affektiert – doch immer so inszeniert, dass die Person dahinter doch als Überbleibsel eines Gewissens zurückbleibt. Das sein Spiel zum Inferno stilisiert, ausgetragen auf den Schultern des Jahres 2018. Ein Requiem auf verlorene Nationen schreibt, die Typen, wie Cameron sie inszeniert, in die Realität schleudern. Spaßig war es dennoch, ihn für einen kurzen Moment in seine Abgründe zu begleiten.

Dieser Text über Alex Cameron ist Teil unserer Berichterstattung zum Maifeld Derby Festival 2018. Weitere thematisch daran anschließende Beiträge erreichen Sie per Klick. Eine photographische Rekonstruktion der Schau finden Sie hier. Alle Photos von Isabel Thalhäuser. Das jüngste Album 'Forced Witness' ist auf Secretly Canadian erschienen. Wir empfehlen den legalen Erwerb. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr lesen.