Fragmente

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Träumen für Solidarität.

Young Fathers live am Maifeld Derby 2018.

Man stelle sich vor, Schnee gäbe es auch im Juni, Roboter entwickelten plötzlich eigene Gefühle und eine Kampagne sprenge die Musikwelt so sehr, dass Konzerte abgesagt werden. Damit wäre unsere Zeit eigentlich schon ganz treffend erklärt. Na gut, so einfach ist es dann doch nicht. Da gäbe es unter anderem noch Musik, Philosophie und Kunst, die unterschiedliche Rezeptionen unserer Zeit produzieren und so einen anderen Blick erlauben. Zudem haben wir da auch noch den reinen Menschenverstand, dem frei liegt, inwieweit der Dilettantismus umformuliert werden soll und kann. Wir konzentrieren uns auf die Musik.

Zu hören war diese in Mannheim, umgeben von Staub, Lärm und der heißen Junisonne – ausgehend von der Band Young Fathers. Ein Hip Hop Trio, das ihre Erfahrungen mit Rassismus, alltäglichen Kämpfen und Faszinationen in die Ästhetik ihrer Musik gießt. „Wir jagen Schatten und sammeln, was uns gestohlen wurde“ heißt es in einem Song und auch wir suchten nach der Dunkelheit und fanden diese in der Höhle des Geländes. Genauer: im Zirkuszelt des Maifeld Derbys. Zusammengeführt hat uns der Klang einer Band, über die dieser Tage erstaunlich viel gesprochen, geschrieben und gelesen wurde. Weniger oft ging es dabei um ihre Musik, sondern um die Folge einer Kampagne des BDS. Was es damit auf sich hat, können Sie hier lesen. Dass die Band an diesem 17. Juni vor uns steht, wird somit nicht nur zu einem musikalischen sondern auch zu einem politischen Moment. Dies kann schnell den Blick auf die tatsächliche Kunst verstellen. Da wir das vermeiden wollen, dennoch aber nichts verschweigen wollen, haben wir die Politik an einer Stelle verarbeitet und konzentrieren uns hier eben – auf die Musik. So bleibt mir nur noch übrig, meinen geschätzten Kollegen, Herrn Morgenbesser, zu rezipieren und festzuhalten, dass der „BDS und ihre Mission (...) antisemitisch, antizionistisch und antiisraelisch und deswegen in jeder Hinsicht zu verdammen (ist) wofür Fragmente Deutschland mit vollem Herzen und denkendem Kopf einsteht,“ und dem sich Ihre Autorin ohne Weiteres zugehörig fühlt.

Kommen wir nun also zurück zum eigentlichen Grund dieses Nachrufes und der Band, die autobiografisch und tiefsinnig-ehrliche Erfahrungen in einen Cocktail aus Gospel, Industrial, Trip- und Hip-Hop gießt und ihrer Performance der Platte Cocoa Sugar. Darauf formuliert die Band Kontraste zwischen Reminiszenzen zur Vergangenheit und dem Pop-Futurismus zu einem Manifest, das einen schillernder Zeitgeist widergibt. Nicht naiv. Nicht süß. Sondern rau und ehrlich und doch zu allen Zeiten empathisch. Dafür sind Young Fathers dem politischen Gerne und ihrer Herkunft treu geblieben. Sie erzählen von der Aufhebung der Religion und dem Verlust des Status Quo. Die Texte schildern in einem Gefängnis aus unkonventionellen Rhythmen und knallendem Tempo den Werdegang der Lethargie zur Ekstase. Pulsierende, temperamentvolle Beats fegen jedes noch so schizophrene Gedankengut weg. Von der Bühne aus überflutet uns eine Band im grellen Licht stehend, die jegliche Dunkelheit überwindet. Der Staub wirbelt auf. Die Hitze ist vergessen. Die sozialkritische Narration ihrer Texte jedoch bleibt. Und wir machen sie zu unserer Sprache.

Dann ertönt „In My View“ und schildert deutlich die Unterlegenheit einer in ihren Privilegien gefangen Bevölkerungsgruppe. Jene Gruppe steht einer dem Nationalstolz immer mehr anheim fallenden Nation gegenüber. Davon sind wir kaum befreit. Doch fragen wir uns, ob dies hier tatsächlich auch so gehört wird. Ein Blick in die Runde lässt uns zweifeln. Hier stehen nun mal 95% weiße und mehr oder minder privilegierte Menschen. Identifikation ist zwar leicht gemacht, das individuelle Nachempfinden über das mutig geteilte Leid der Band ebenso, doch fehlen hier am 17. Juni 2018 eindeutig die Unterschiede, die es zu einen gilt. Gemeint sind Konzerte, die Juden, Christen, Muslime, Buddhisten und Hinduisten ansprechen. Kleine, große, dicken und dünne Menschen aller Herren Länder und jeglicher Sexualität. Von ihnen allen – und von uns – fordern wir ein kollektives Bewusstsein, das die sinnentleerte Rückkehr zu sich verhärmenden Nationalstaaten endlich übergehen zu vermag.

Als dann der Song Toy erklingt, verkörpert er gleichzeitig die Huldigung eines besseren Moments, der zur puren Ekstase wird. Kräftige Rhythmen peitschen uns um die Ohren, durchdringen jedes einzelne Molekül. Wir fliegen über Herkunft, Religion und gesellschaftliche Konflikte hinweg. Unter dieser Diskokugel flüchten wir noch stärker zum eigentlichen Ziel: dem friedvollen Zusammensein. In den kraftvollen und giftigen Worten „You just a silly little toy, stupid little boy“ kontrastiert sich im rapiden Tempo, dass jeder von uns ganz easy zu einem Spielzeug dressiert werden kann. Sei es im Zirkus der Medien, der Politik oder der Liebe. Der Song löst somit den perspektivlosen Wahn im Jonglieren von Ängsten und dem Zweifel der Liebe auf und wird zu einem Vehikel einer zerrissenen Gesellschaft. Heute hier und Jetzt, zählt nur die Überwindung aller gesellschaftlicher Dispute und Klischees. Wir tanzen, spinnen und entfernen uns aus dem Alltag, drehen gemeinsam durch und werden zu Träumern einer noch nicht erreichten, romantischen Utopie.

Was bleibt ist schließlich ein Moment, der andeutet, was Musik sein kann und der im Gedächtnis brennt, weil er als Hoffnungsträger puren Respekts und purer Solidarität fungiert. Auch wir wissen natürlich, dass es fern von dieser romantischen Welt genauso beschissen weitergehen wird wie zuvor. Dennoch erlaubten die Young Fathers uns, gemeinsam zu träumen. Somit einte uns das Identifizieren mit Andersartigkeit, die in solidarische Empathie überführt wurde. All das ließ uns für einen kurzen Augenblick dieses 17. Junis eins werden.

Dieser Text über Young Fathers ist Teil unserer Berichterstattung zum Maifeld Derby Festival 2018. Weitere thematisch daran anschließende Beiträge erreichen Sie per Klick. Eine photographische Rekonstruktion der Schau finden Sie hier. Alle Photos stammen von Isabel Thalhäuser.