Fragmente

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Sascha Ehlert, Das Wetter.

Von der Kunst der Schnapsidee.

Er schreibt, er verlegt, er betreibt – doch nicht nur irgendein Magazin. Sascha Ehlert ist Kopf und Chefredakteur des wohl ungewöhnlichsten, doch gleichzeitig spannendsten Musikmagazins im derzeitigen Deutschen Printdschungel. "Das Wetter – Magazin für Text und Musik", will sich nicht als Gegenbewegung zum tradierten Feuilleton-Journalismus verstehen. Ist es aber doch. Und hat es nach nur drei Jahren Bestehen geschafft, zum beliebten Insider bei Musikern wie Journalisten zu werden.

Wie es dazu kommen konnte, warum das Medium Print ständig im Sterben liegen will und doch nicht verreckt und welche Mitschuld an seinem Überleben Sascha Ehlert hat, darüber haben wir mit ihm gesprochen. 

Sascha Ehlert, Foto von William Minke.

Herr Ehlert, Sie sind Autor, Texter und Journalist. Haben bereits für Noisey, Juice, Visions und viele, viele mehr geschrieben. Wie kamen Sie zum Musik-Journalismus? Und was ist Ihr musikalischer Heimathafen?
Ich schätze, das Internet ist Schuld: Ich habe eine Zeit lang viele amerikanischen HipHop-Blogs konsumiert und mir in dieser Zeit Magazine immer eher begleitend dazu gekauft. Dieses schnelle Schreiben über Musik, das wollte ich dann irgendwann auch. Und es fiel mir relativ leicht, also hab ich’s gemacht. In den Print, wo ich eigentlich auch schon als 15-Jähriger irgendwann mal rein wollte, kam man natürlich nicht so leicht rein - für’s Internet reichte ein Wordpress-Blog.
Was meinen musikalischen Heimathafen betrifft, ist das eine relativ eindeutige Antwort: HipHop. Oder, um genauer zu werden, Westberliner Battle-Rap, Wu-Tang, Lil Wayne-Mixtapes, The Clipse und The Neptunes. Andere Musik begeistert mich natürlich längst ebenso, aber mein Zuhause ist und bleibt HipHop.

Hat sich daraus die Liebe zum Text an sich entwickelt? Oder kam der Journalismus viel mehr über die Liebe zum Text?
Ich würde sagen, das hat sich mehr oder weniger parallel entwickelt. Ich hab’ schon immer viel gelesen. Natürlich Romane, aber ich hab' mir auch immer mehrere Magazine pro Monat gekauft. Mit 13, 14 Juice und Backspin, mit 17 dann auch Spex und so.

Am 20 September 2013 ist dann die erste Ausgabe von „Das Wetter – Magazin für Text und Musik“ erschienen. Wie ist das Magazin damals in Hamburg entstanden?
Hm, aus einer Schnapsidee heraus. So wie alle guten Dinge. 

Hätte es in dieser Form auch in Berlin entstehen können?
Prinzipiell: klar. In meiner damaligen Lebenssituation wäre es ohne Hamburg und vor allem ohne meinen guten Freund Max Leßmann aber vermutlich nie so weit gekommen.

2014 wurde „Das Wetter“ mit dem „Hans“ als Medienformat des Jahres gekürt. Das Magazin gilt als journalistisch freischwimmender Favorit von Künstlern und Feuilletonisten. Beeinflusst dich diese Erwartungshaltung während der Arbeit an der nächsten Ausgabe?
Sind wir tatsächlich so beliebt im Feuilleton? Unser Geschichten-erzählerischer Ansatz ist schon ein relativ anderer als der, der in Tages- und Wochenzeitungen üblich ist. Aber eine Erwartungshaltung spüren wir bisher tatsächlich gar nicht. Vielleicht, weil man nicht so viel Zeit hat, darüber nachzudenken. Vielleicht aber auch, weil das Ganze immer noch jedes Mal wieder so wahnsinnig viel Spaß macht.

Die aktuelle, neunte Ausgabe von "Das Wetter".

Inwiefern hat sich die Arbeit an „Das Wetter“ seit 2013 denn verändert?
Wir wissen mittlerweile so einigermaßen, was wir tun und wo wir mit diesem Magazin gerne hin möchten.

Wo wollen Sie mit Das Wetter denn hin?
Wir möchten auf jeden Fall noch weiter weg vom klassischen Musikmagazin-Geschäft. Dort habe ich ja mehrere Jahre lang hauptberuflich gearbeitet und dabei gemerkt, dass es zu Das Wetter besser passt, wenn wir uns stärker von Release-und Promo-Plänen distanzieren und es uns letztlich auch besser steht, wenn wir Newcomer oder Künstler auf das Cover packen, die so auf keinem anderen Magazin-Cover vorstellbar wären. Welches andere Musikmagazin hat überhaupt die Chance, Künstler wie Yung Hurn oder Haiyti aufs Cover zu packen? Alleine aus geschäftlichen Gründen ist das bei anderen Zeitschriften kaum denkbar – für uns ist es goldrichtig. Darüber hinaus sehe ich Das Wetter, je länger es existiert, immer weniger überhaupt als Musikmagazin. Wir haben uns zu einem subjektiv-persönlich arbeitenden Kulturmagazin mit Verwurzelung in der Pop-Musik entwickelt, auf deren Cover perspektivisch Schriftsteller aber genauso denkbar sind wie Theatermacher oder Bildende Künstler. Wir wollen uns nicht beschränken, dazu interessieren uns zu viele unterschiedliche Dinge.

Wird Ihnen Ihr selbst gestellter Anspruch manchmal zum Verhängnis? Beispielsweise wenn Sie schon wieder eine Nacht durcharbeiten?
Na klar, aber darüber möchte ich mich nicht beklagen. Störend sind ja nicht die langen Nächte, sondern eher die Texte, die man nebenbei ausschließlich für die Lebenshaltung schreibt, mit denen man hinterher nicht als Autor identifiziert werden möchte. „Mit jedem Satz, den ich für Bezahlung schreibe, erlischt in mir ein kleiner, lieber Stern. Lohnarbeit ist Demütigung, immer und ausnahmslos.“ Das schrieb Stefanie Sargnagel letztens in ihrem Bachmannpreis-Text. Das ist natürlich Jammern auf hohem Niveau – unterschreiben will ich's trotzdem.

Hendrik Otremba schrieb vor Kurzem, dass Schreiben wehtun sollte – sonst hätte es keinen Sinn. Für Sie ist Schreiben Brotkunst. Können Sie Hendriks Ansichten bestätigen?
Ich finde schon, dass Schreiben einen in irgendeiner Form bewegen sollte. Manchmal kann es aber auch einfach Spaß machen. Eigentlich bereitet mir das Schreiben von Texten, die ich wirklich schreiben will, sogar immer ein gewisses Vergnügen, selbst wenn es um Negatives geht. Natürlich schreibe ich in der Regel mehr über andere, und selten so direkt über mich selbst, wie das viele Schriftsteller tun, aber nichtsdestotrotz glaube ich nicht, dass ein Text nur dann gut ist, wenn er dem Autor „wehgetan“ hat. Das halte ich für Künstler-Folklore.

"Ich glaube nicht, dass ein Text nur gut ist, wenn er dem Autor "wehtut". Das halte ich für Künstler-Folklore."

Laut einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt war Ihnen von Anfang an klar, dass Sie mit Das Wetter nicht „krass Geld verdienen“ werden. Warum ist das eigentlich so? Gerade Das Wetter zeigt ja, dass ein Medium mit Qualitätsanspruch für junge Leute relevante Themen aufbereiten kann – und jene auch noch erreichen kann.
Die Erklärung ist ganz einfach: 8,50 EUR sind für ein Magazin in kleiner Auflage wie das unsere einfach zu billig. Nach Abzug von Druckkosten, Vertrieb und Händleranteilen bleibt kaum noch etwas übrig. Zu dem Zeitpunkt hat dann noch keiner der Menschen, die ihre Zeit in dieses Magazin investieren (Redakteurinnen, Gestalterinnen, Autoren, Fotografen, Illustratoren) einen Cent bekommen. Mit dem Druckerzeugnis selber kann man nur über Werbung Geld verdienen und a) wollen wir unser Magazin partout nicht komplett mit Anzeigen vollpflastern und b) ist der Anzeigenmarkt für kleinere Magazine ohnehin nicht wahnsinnig lukrativ. Heißt für uns auf lange Sicht: Wenn wir irgendwann davon leben wollen, müssen wir mit unserer „Marke“ auf anderen Wegen Geld verdienen. In welchen Bereichen wir dazu bereit sind, das diskutieren wir gerade.

Sascha Ehlert, Foto von William Minke.

Fehlt am Ende das Vertrauen der großen Anzeigenkunden in unabhängigen Journalismus? 
Letzten Endes stehen gerade glaube ich eher zu wenige große Marken auf klassische, gut gestaltete Print-Anzeigen. Die wollen alle kostengünstige Product-Placements und Advertorials. Natürlich erreichen sie ihre potenziellen Kunden in der Regel effektiver, direkter und vor allem billiger, wenn sie Blogger mit starken Instagram-Accounts mit ihren Produkten beliefern. Im Netz ist eben auch alles in Likes und Page-Views direkt messbar, wie viele Leute dagegen eine Das Wetter-Anzeige sehen, kann man nur grob schätzen, da eine Ausgabe in der Regel durch mehrere Hände wandert. Ich glaube ohnehin, dass die Wirkung und der Wert von Print-Anzeigen momentan unterschätzt werden.

"Ich sehe das Wetter immer weniger als Musikmagazin."

Zahlreiche Journalisten berichten, dass ihnen während des Studiums eingetrichtert wurde, sie müssten „eine Marke“ werden. Das hätte zur Folge, dass der veröffentlichte Text in den Hintergrund tritt – und er vielleicht gar nur wegen der Person dahinter gelesen wird. Merken Sie dahingehend eine Veränderung?
Ich glaube, der moderne Arbeitsmarkt will uns alle dazu bringen „Marken“ zu werden, vor allem als Freiberufler. Ich glaube aber nicht, dass ein Text zwangsläufig in den Hintergrund rückt, wenn man ihn liest, weil man den Namen des Autors kennt. Grundsätzlich finde ich es ja gut, denn das bedeutet immerhin, dass es Menschen gibt, denen hochwertiger Journalismus noch so viel bedeutet, dass sie sich die Namen der Autoren merken. Die These von erfolgreichen Medien-Konzernen wie der Vice, aber auch dem Spiegel und der Zeit (da denke ich natürlich vor allem an Bento und Ze.tt) ist doch eher: Ist eh egal, wer da schreibt. Hauptsache die Leute klicken den Link in ihrer Timeline. Dazu muss ja nur die Headline stimmen. Da treten der Text UND der Autor in den Hintergrund.

Wie schaffen Sie es, in der Promotion-Flut die wirklich interessanten Artists rauszupicken? Denn wenn Das Wetter neben Qualität für eines steht, dann für den sprichwörtlichen Finger am Puls der Zeit.
Das freut mich natürlich. Wir picken unsere Themen tatsächlich zu 95 Prozent unabhängig von Promo-Mails. Ich habe gar keine Zeit, die alle anzuschauen, weshalb ich die meisten ungelesen lösche. Themen finden wir eher über Soundcloud, Bandcamp und YouTube, oder über Empfehlungen von Autorinnen oder Bekannten.

Als ob Sie noch gar nichts zu tun hätten, leiten Sie mit Katharina Holzmann und David Rabolt den Korbinian Verlag. Worin unterscheidet sich die Arbeit im Verlag von der journalistischen?
Das Augenscheinlichste zuerst: Ich schreibe im Verlag nicht selbst, sondern wir suchen gemeinsam Texte aus, lesen Lektorat und kümmern uns im Anschluss um Vertrieb, Marketing, Promo, Lesungen und so weiter. Viele der Aufgaben ähneln sich, allerdings ist die Literaturwelt noch mal ganz anders organisiert, als die Musikwelt. Das grundsätzliche Gedankengut und die Intention dahinter sind allerdings dieselbe: Wir publizieren die Texte, die wir gerne lesen wollen.

"Raum in einem Raum" von Eric Keil. Erschienen im Korbinian Verlag.

Laut eigener Beschreibung soll der Korbinian Verlag eine „Anmaßung“ sein. Das neu gedachte Rad des Verlagswesens. Ähnlich wie mit Das Wetter, hat man das Gefühl, Sie wollen dem ständig sterbenden Medium „Print“ neues, junges Leben einhauchen.
Letzen Endes sind wir natürlich Nostalgiker, weil wir uns mit dem Verlag bewusst auch auf das Verlagswesen der Berliner und Wiener Zwanziger des letzten Jahrhunderts beziehen. Allerdings verbinden wir das zum Beispiel mit unseren Erfahrungen mit der digitalen Welt, in die wir als Ende der Achtziger Geborene zwangsläufig reingewachsen sind. Vielleicht könnte man sagen, dass wir Vorgestern und Heute verbinden, während viele Verlage im Gestern leben und vom eigenen Sterben reden – was meiner Meinung nach Quatsch ist. Selbstverständlich haben Bücher und Magazine eine Zukunft!

"Viele Verlage leben im Gestern.
Wir verbinden Vorgestern mit Heute."

Sehen Sie sich mit Ihrer Arbeit im Verlag und als Journalist in der Pflicht, der Gesellschaft zu einer gut fundierten Meinung die nötigen Mittel zu geben?
Ich sehe uns nicht in der Pflicht, der Gesellschaft bei ihrer Meinungsbildung weiterzuhelfen. Für eine gut fundierte Meinung muss man ohnehin mehr als ein Medium lesen. Das Wetter gibt dem Leser unsere subjektive Perspektive auf Dinge zwischen Pop, Kultur und Alltag mit. Damit können wir höchstens dazu beitragen, die Meinungsvielfalt in der Gesellschaft etwas zu vergrößern.

Oder steht für Sie das künstlerische Produkt im Vordergrund?
Ich weiß nicht, ob man ein Magazin als Kunst bezeichnen kann, aber zumindest steht für uns alle klar im Vordergrund, nur das zu machen, worauf wir Lust haben. Natürlich steht dahinter auch eine Einstellung zum Leben und zu der Gesellschaft, in der wir leben, aber die wollen wir dem Leser nicht aufdrücken, das passiert von ganz alleine, wenn man etwas so Persönliches wie Das Wetter macht.

Zum Abschluss: Über welchen Künstler müsste eigentlich viel mehr geschrieben werden?
Die Aufforderung geht auch an uns selbst: Young Krillin!

Wir danken Herrn Ehlert für das Gespräch und empfehlen dringlichst die Lektüre des großartigen Das Wetter. Denn wenn alle über das Wetter sprechen, wollen Sie ja wohl Teil der Konversation sein. Darüberhinaus legen wir Ihnen nahe, die Werke der Autoren im Korbinian Verlag einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Es zahlt sich aus. Im Übrigen sind wir der Meinung, dass Sie viel mehr Human Abfall hören sollten.