Fragmente

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Erol Sarp, Grandbrothers.

Die Unendlichkeit der Limitierung.

Das Live-Setup der Grandbrothers wirkt wie eine Abstraktion der 1980er Phase von David Cronenberg, in der sich der Horror vor dem Leiblichen mit einer gewissen Technikangst mischt. Auf der Grandbrothers-Bühne ist der organisch geformte Flügel (hergestellt aus Holz und Elfenbein) eingespannt in ein metallisches Gestänge und mit zahlreichen MIDI-Controllern verkabelt. Diese steuern den Einsatz kleiner Elektromotoren die, ähnlich wie bei einer Tätowiermaschine, jeder für sich einen Metallstift vor und zurück bewegen. So werden die Einzelteile des Flügels mit kurzen Schlägen und Klopfbewegungen traktiert, um ihnen die unterschiedlichsten Geräusche zu entlocken.
Dieser Versuch, die Bühnenanordnung zu beschreiben, vermag nur ein diffuses Bild von dem zu geben, was Erol Sarp und Lukas Vogel sich haben einfallen lassen, um die Verbindung zwischen klassischer, mechanischer und zeitgenössischer, elektronischer Musik möglichst eng zu führen. Die beiden haben sich 2011 an der Düsseldorfer Robert Schumann Hochschule für Musik kennengelernt, wo sie gemeinsam ein Konzept erarbeitet haben, wie sie das maximale Klangspektrum aus dem Klavier herausholen können. Erste Resultate dieser Versuchsanordnung haben schließlich 2014 das Licht der Welt erblickt, in Form der EP “Ezra” auf Film, einem Berliner Label das sich der experimentierfreudigen Seite elektronischer Musik widmet. Dort ist auch 2015 das Debütalbum “Dilation” veröffentlicht worden, mit welchem das Duo einiges an Aufmerksamkeit erregt und Kritikerliebe entfacht hat.

Nach einem Wechsel zu City Slang ist Ende Oktober 2017 das zweite Album “Open” erschienen, mit dem Erol und Lukas aktuell auf Tour sind. Bevor es am zweiten Februar wieder mit Liveauftritten weitergeht, haben wir die Zeit genutzt und Erol ein Paar Fragen zum aktuellen Zustand der Grandbrothers-Welt gestellt.

Photo von Tonje Thilesen.

Ihr neues Album “Open” ist mittlerweile seit über zwei Monaten draußen und Sie sind damit bereits europaweit getourt. Wie waren die Reaktionen bisher und was hat sich für Sie auf der Bühne geändert – im Vergleich zum Debüt 2015?
Wir haben vor circa einem Monat die dazugehörige erste Tour hinter uns gebracht und waren davor natürlich sehr gespannt, wie das Publikum reagieren würde. Ein wichtiges Element der Shows sind die Lichtshow und, wenn es die Venue zulässt, Visuals geworden.
Wir arbeiten da mit tollen Leuten zusammen, die uns kreativ und technisch zur Seite stehen und die Konzerte nochmal auf ein anderes Level bringen. Zumindest war das unsere Hoffnung und so wurde es in den meisten Fällen dann auch von den Zuschauern gespiegelt.
Generell spüren wir im Vergleich zum ersten Album eine deutliche Steigerung, die Zahlen (Clicks, Facebook, Instagram etc.) sind höher und machen uns Mut, dass wir nach wie vor das Gefühl haben, auf dem richtigen Weg zu sein.

“Dilation” war ziemlich rhythmus-orientiert und schnell, mit zahlreichen Tracks um die 100 BPM. Auf “Open” haben Sie das Tempo zurückgenommen und die Kompositionen deutlich dynamischer angelegt. Man könnte fast von Soundtrack-Charakter sprechen. Was hat Sie zu dieser Entwicklung bewegt?
Wir haben auf “Open” das Klavier etwas mehr in den Hintergrund gestellt und viel mehr mit Effekten gearbeitet, was uns automatisch dazu veranlasst hat, das Tempo rauszunehmen. Mit beispielsweise Hall und Echos haben wir davor zwar schon gearbeitet, dieses Mal aber eben noch intensiver, und dadurch entstehen sehr schnell sehr sphärische Sounds. Diese brauchen eben Raum und Platz und da muss das Klavier dann viel weniger spielen und ein Halftime-Beat passt tausend Mal besser. Dieser Hang zum Experimentieren war von Anfang an da und wird für uns immer sehr wichtig sein, deshalb sehen wir dieses Projekt auch immer als stetige Weiterentwicklung.

Ziemlich überrascht hat uns “White Nights” mit dieser kurzen Passage in der Mitte, die in ihrer Atonalität fast schon an Penderecki erinnert. War es Ihnen ein Anliegen, auf diesem Album vielfältigere Einflüsse zu verarbeiten als bisher?
Der Vergleich mit Penderecki ist sehr nett, danke! Um ehrlich zu sein, war das aber nicht bewusst gewollt. Trotzdem findet man bei uns auch mal Cluster, in der modernen Musiksprache vielleicht Soundwände, was uns wieder zum Gebrauch der Effekte führt.
Ich glaube es ist ganz normal, dass man als Musiker über die Zeit immer mehr Sachen kennenlernt und hört und sich diese, auch wenn manchmal nur unterbewusst, in der Musik wiederfinden. Wir versuchen uns beide so viel neues Zeug wie möglich draufzuschaffen und das Gute daran ist, dass wir uns noch mit vielen Sachen auseinandersetzen wollen, die wir kennen, und mit Dingen konfrontiert werden, die wir noch nicht kennen.

Wir finden, Ihr Sound setzt zwei musikalische Traditionslinien fort, die auch durch Düsseldorf, die Stadt Ihrer Bandgründung, verlaufen. Einerseits die elektronische Pop-Avantgarde von Kraftwerk, andererseits das präparierte Klavier, das Hauschka ebenfalls in Düsseldorf wieder salonfähig gemacht hat. Fühlen Sie sich dieser Tradition verpflichtet, oder spielen sie für Sie keine Rolle?
Sagen wir so: dass das Projekt in Düsseldorf seinen Ursprung hat, ist dem geschuldet, dass wir beide dort studiert haben. Wir sind nicht nach Düsseldorf gegangen, um dort die musikalische Szene zu studieren und aufzumischen, sondern eher da reingerutscht. Es war aber sehr inspirierend, in dieser Stadt zu sein und mit Leuten und Orten in Kontakt zu kommen, die die musikalische Geschichte der Stadt miterlebt haben und wo tolle (elektronische) Musik entsteht. Unsere damalige Hochschule oder der Salon Des Amateurs und sein Umfeld zum Beispiel. Das hat uns jedenfalls sehr gut getan und auch, wenn wir beide da schon länger nicht mehr wohnen, ist es sehr schmeichelhaft, wenn wir im Rahmen des musikalischen Erbes der Stadt erwähnt werden.

Mit ihrer Mischung aus Klassik, Pop und Dance werden die Grandbrothers gemeinsam mit beispielsweise Nils Frahm und eben auch Hauschka dem Genre Neo-Klassik (nicht zu verwechseln mit der Dark Wave Stilrichtung Neoklassik) zugeordnet. Solche Kategorisierungen sind freilich nur intertextuelle Konstruktionen, entstanden im Austausch zwischen Musikern, Labels, Händlern, Fans und Journalisten – in ihren Gesprächen und Artikeln über die Musik und durch ihr Bestreben, sich, respektive sie von Anderen abzugrenzen oder mit ihnen zu versammeln. Genres stellen somit eine Ordnung der Dinge her, die selbstverständlich hilfreich ist, um sich im Dickicht der Veröffentlichungen zu orientieren. Anstrengend wird es allerdings, wenn eine Kategorie zum Dogma wird. Wenn also von der Kategorie ausgehend nur ein bestimmtes Klangbild oder Verhalten als angemessen oder gar erlaubt angesehen wird.
Das wohl absurdeste dieser Dogmen, das selbst die Zuhörerhaltung festzulegen versucht, ist die in Deutschland immer noch existierende Trennung zwischen ernster und unterhaltsamer Musik, also U- und E-Musik. Klassik ist dabei ernsthaft und soll auch so konsumiert werden, distanziert und andächtig, möglichst unter Verzicht auf eine emotionale Beteiligung. Unterhaltung ist dementsprechend mit einer Oberflächlichkeit gleichgesetzt, als könne es nicht unterhaltsam sein, sich kontemplativ in ein Werk zu vertiefen. Um so erfreulicher ist es also, dass Künstler wie Max Richter, Tale Of Us und Grandbrothers sich nicht nur spielend zwischen den Genres, sondern auch den Aufführungsorten und damit Hörerhaltungen hin und her bewegen.

Als neo-klassische Komponisten treten Sie ja ohnehin ein schweres Erbe an: Sie müssen die Geschichte der klassischen Musik kennen und ihre Innovationskraft für sich nutzen. Genau so müssen Sie aber auch das Handwerk der Popmusik beherrschen und zugänglich bleiben, ohne zu langweilen. Wie schwer fällt Ihnen dieser Spagat? Oder reißen Sie lieber gleich die Mauern der verschiedenen Genres und Stile ein?
Genau, letzteres. Wir sehen uns gar nicht so sehr in diesem Neo-Klassik-Kontext, sondern versuchen viel mehr, unser eigenes Ding zu machen, das aus unterschiedlichsten Einflüssen besteht. Klar ist klassische Musik ein wichtiger Aspekt, aber genau so wichtig sind für uns Jazz, Popmusik und elektronische Musik mit all ihren tausend Facetten. Beim Komponieren sind wir nicht verkopft, sondern machen einfach das, was uns gerade gut und richtig erscheint. Wir haben aber auch kein Problem damit, wenn Leute uns in diese Schublade stopfen. Nur ist dieser Begriff für uns zu schwammig und wir passen unserer Meinung nach nicht so ganz da rein.
 

Photo von Amos Fricke

Ein weiteres Spannungsfeld, das sich in Ihrer Musik auftut, ist das von Biologie und Technologie: einerseits der Flügel, aus Holz gefertigt und organisch geformt, andererseits die computergesteuerten Elektromotoren, die ihn bearbeiten. Wie wichtig sind diese zwei Pole für Ihre Arbeit und wie gehen Sie mit diesem Gegensatz um?
Für uns ist dieser Gegensatz mittlerweile das normalste der Welt geworden. Vor ein paar Jahren hatten wir die Idee, mit einem Flügel Musik zu machen und wir halten nach wie vor daran fest. Die erste Regel war, dass sämtliche Sounds nur aus dem Flügel kommen dürfen, womit wir uns eine strenge Limitierung gesetzt haben. Aber gerade die unzähligen Möglichkeiten innerhalb dieser Limitierung zu finden, das hat uns angetrieben. Das hat sich aber auch schon wieder etwas gelockert, sodass wir nicht mehr ausschließen, vielleicht mal über den Flügel hinaus zu schauen und mal etwas mit einem anderen Instrument zu machen. Auch hier wollen wir nicht zu verkopft sein, sondern eher das machen, was uns gut gefällt und wenn wir dabei unsere eigenen Regeln auf den Kopf stellen, dann ist das eben so.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie “Open” als Titel gewählt habt, um die Assoziationen und Interpretationen des Albums möglichst frei zu lassen. Ist es Ihnen wichtig, Ihre Musik nicht interpretieren zu müssen und Statements zur Bedeutung zu vermeiden?
Mit instrumentaler Musik ist es eh immer schwierig, bestimmte Themen oder Assoziationen vorzugeben. Die Namen unserer Stücke sind dann auch eher bewusst … vielleicht manchmal etwas verwirrend oder witzig gewählt, jedenfalls so, dass genug Interpretationsraum bleibt. Dass Musik im Allgemeinen immer Bilder auslöst, ist klar und dann ist es immer spannend zu erfahren, was die Leute mit unserer Musik verbinden. Manchmal total verrücktes Zeug, an das wir niemals gedacht hätten.

Wir bedanken uns bei Herrn Sarp dafür, dass er sich Zeit für unsere Fragen genommen hat. “Open” von Grandbrothers ist bei City Slang erschienen. Wir empfehlen den legalen Erwerb und den Besuch der geplanten Konzerte.