"Wir suchen unser Heil in der Wucht."
"Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht." Ein rauer Wind weht durch Deutschland. Die AfD sitzt im Bundestag. Die Rechten – entweder versteckt unter dem Denkmantel der Neurechten, oder ihr widerliches Antlitz unverblümt zeigend – nehmen in den entlegensten und nächsten Ecken und Enden immer mehr Platz ein. Die Konservativen und die Sozialdemokraten liefern keine Antworten, sondern selbstverwaltendes Schulterzucken und können ihre schwindende Macht gerade noch einmal zur minimalen Mehrheit zusammenschweißen. Die Antworten sind auserzählt. Was bleibt da noch? Für Gewalt aus Berlin und Friends of Gas aus München ist das ganz klar der Krach. Beide Bands nähern sich auf idiosynkratische Art und Weise der Dringlichkeit unserer Zeit – und gehen damit Anfang Februar gemeinsam auf Tour. Sie stellen dem rauen Wind rohen Krach gegenüber. Wir haben die gemeinsame Tour der beiden genutzt, um mit Nina Walser (Gesang, Friends of Gas) und Patrick Wagner (Gesang und Gitarre, Gewalt) über Solidarität, die Rechten, Szenen, Zugehörigkeitsgefühl und in Leben gerissene Löcher zu sprechen.
Geschätzte Friends of Gas, geschätzte Gewalt Band, was verbindet Sie als Bands?
Nina Walser, Friends of Gas: Reduktion, Umgang mit Sprache, Dringlichkeit. Schwer, das von innen zu beurteilen.
Patrick Wagner, Gewalt: Ich habe das Gefühl, wir sind beide auf seltsame Art aus der Welt rausgerissen. Wir haben ein ähnliches Vertrauen in unsere Worte und räumen ihnen trotz des ganzen Radaus viel Platz ein. Der Krach verbindet uns und der Hang zum Groove.
Was unterscheidet Sie musikalisch voneinander?
NW: DM1 und Blaulicht. Gewalt ist reduzierter, brutaler und animalischer, da gibt’s null Pop.
PW: Die Texte entstehen, glaube ich, bei Friends of Gas ganz anders. Assoziativer. Bei Gewalt staut sich immer ein Thema an.
Sie sind Teil einer Gruppe von Bands, die Musik machen, die ja niemals wirklich weg war, aber nun durch mediale Aufmerksamkeit oft als eine Art „neue“ alternative Szene gesehen und betitelt wird. Fühlen Sie sich zu Bands wie Human Abfall, Die Nerven, Karies, Drangsal, Candelilla verbunden? Wie denken Sie in diesem Kontext über den Begriff "Szene"?
NW: Ja, aber ich finde es trotzdem übertrieben, gleich von Szene zu sprechen. Das ist ja nur ein kleiner, mehr oder weniger in sich abgeschlossener Kosmos. Oder?
PW: Mutter oder diese Jungspunde von Heim und Euternase nicht zu vergessen. Aber was das Thema verbinden angeht, so ist all diesen Bands wohl eine Sache gemein: Wir haben Probleme, Teil von irgendetwas zu sein – gesellschaftlich wie auch persönlich und musikalisch. Also suchen wir unser Heil in der Wucht, im Lärm und dem Wort (Schrei). Kurz, wir können uns per se nicht so recht verbinden. Diese gemeinsame Tour mit Friends of Gas – und es war Liebe auf den ersten Blick, zumindest von unserer Seite aus – empfinden wir als gewagtes Experiment.
"Ich will tiefe Löcher in Leben reißen."
(Patrick Wagner, Gewalt)
Würden Sie es dann eher als Verbundenschaft im Geiste bezeichnen, oder insofern, als dass man sich unter die Arme greift, wo es möglich ist?
NW: Ja, auch konkrete Freundschaften. Wirr teilten uns zum Beispiel mit Candelilla lange einen Proberaum und Thomas hat Die Nerven öfter auf Tour begleitet.
G: Keiner kann und muss Gewalt unter die Arme greifen. Ich denke bei Friends of Gas ist es ähnlich. Sie könnten auch in einem leeren Olympiastadion vor 80 Leuten ein Weltklasse-Konzert spielen. Szenen interessieren uns nicht. Szenen sind ein Marktphänomen. Sie dienen dazu, dass irgendetwas wächst und Profit generiert.
„Solidarität“ als soziopolitischer Begriff ist einer der Grundpfeiler der Sozialdemokratie. Einer Sozialdemokratie, die, betrachtet man aktuelle Entwicklungen und konkrete Wahlergebnisse, gescheitert ist. Sie wohnen in München und Berlin. Haben Sie im Alltag das Gefühl, das Solidaritätsprinzip hat sich im globalisierten Individualismus aufgelöst?
NW: Angst scheint oft die Solidarität zu verschlucken. Angst ist leider leichter zu züchten als Solidarität.
PW: Der Mensch ist immer noch in einer Höhle. Solidarität findet, wenn überhaupt, in kleinstem Kreise statt und das ist Dank des globalisierten Individualismus pervertiert.
Klassenbewusstsein, Zusammengehörigkeitsgefühl, Vereine – Gruppen von Gleichgesinnten können auch bedeuten, dass das Individuum für die Gruppe zurücksteckt und Nachteile erfährt. Oder ganz an Wert verliert. Wie stehen Sie persönlich dem Gruppendenken gegenüber?
NW: Der Mensch ist ja an sich kein Einzelgänger, sondern ein soziales Wesen. Eine Gruppe bedeutet nicht das Gegenteil von Individualismus, vielmehr braucht man andere, um diesen zu entdecken und um sich weiterzuentwickeln. Du kannst dich ja nur im Kontext zu „den Anderen“ definieren, was auch durch Reibung passiert. Es wird heute aber auch eine Art „Pseudoindividualismus“ gezüchtet. Das ist ja auch in der neoliberalen Arbeitswelt zu beobachten, also ist der Begriff eh schon geschluckt.
PW: Wenn ich ein paar Tage unter Leuten bin, muss ich mich 3-4 Tage danach ins Bett legen. Aber der Gedanke, mit anderen Menschen etwas zu machen, ist ein schöner.
Es entsteht ein Hohlraum zwischen Realität und Politik. Der lässt Platz für den Irrsinn, der gerade stattfindet.
(Nina Walser, Friends of Gas)
Nach dem Soziologen Didier Eribon hat sich die Aufteilung der Gesellschaft in Klassen vollends aufgelöst. Eribon will in der Marodierung der Klasse der Arbeiter die Ursache für den zunehmenden Rechtsruck erkennen: Dem „Wir“ der Arbeiter gegen das „Die“ der Kapitalisten und Bourgeoisie stünde demnach heute das „Wir“ der strukturell zurückgelassenen Franzosen/Deutschen gegen das „Die“ der Ausländer. Geschürt freilich durch Angst- und Panikmache seitens der rechten Parteien. Wie sehen Sie die Entwicklung der Rechten in Deutschland?
NW: Nicht nur in Deutschland, sondern europaweit natürlich besorgniserregend. Ich denke, dass auch unsere Kommunikationsweise, die sich durch die Medien verändert hat, für diese Entwicklung verantwortlich ist. Transparenzzwang, keine Zeit zu reflektieren, schnell die Meinung raus scheißen. Da entsteht ein Hohlraum zwischen Realität und Politik. Der lässt Platz für den Irrsinn, der gerade stattfindet.
PW: Erstens. Most people are Dicks. Dann gibt es schon immer ca. 30% Nazis in Deutschland und dem Rest der westlichen Welt. Seit den Social Media Algorithmen und den daraus resultierenden Echoräumen, die Gedanken und Menschen ausschließlich um sich selbst kreisen lassen, verdichten sich diese rechten Dummheiten und entwickeln eine gewisse auch politische Wucht. Letzten Endes ist das alles folgerichtig. Schließlich kriegen wir seit der Industrialisierung erzählt, dass „Haben“ das Wichtigste überhaupt ist. Es klafft eine so große Lücke zwischen uns (die haben) und denen die nichts haben, dass wir in Panik sind, jemand könnte uns alles wegnehmen.
Wie gehen Sie persönlich mit dem Erstarken der Rechten um?
NW: Zum ersten Mal habe ich wegen einem Wahlergebnis geweint. Und ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Ohnmacht!
PW: Ich besitze nichts, und habe demnach auch keine Angst, es zu verlieren. Wenn ich Rechte treffe, hau ich ihnen auf die Fresse. Niemals mit ihnen sprechen. Da ist nichts.
"Man könnte den Bandbus von Freiwild abfackeln."
(Patrick Wagner, Gewalt)
Wirken sich diese Entwicklungen auf Ihr Schaffen als Musiker aus?
NW: Nein, soviel Macht geben wir der Außenwelt nicht.
PW: Ja – Songs wie „Wir sind sicher“ oder „So geht die Geschichte“ drehen sich genau um unser Verhältnis zu unserer Angst.
Im Atemzug des Wiedererstarkens der Rechten wird immer wieder vom „Reden mit Rechten“ gesprochen. Insofern, als dass man sich der Diskussion mit (Neu-)Rechten nicht verwehren, sondern die Meinungsverschiedenheiten mit den richtigen Argumenten für sich gewinnen sollte. In diesem Sinne: Glauben Sie, man sollte – als Band, als Person – auf Rechte zugehen?
NW: Das macht meines Erachtens keinen Sinn. Es ist unmöglich, Brücken zu schlagen zwischen zwei völlig entgegengesetzten „Denk“weisen die sich über Jahre hinweg manifestiert haben. Das kann man nicht in einem Gespräch aufheben. Zudem ist das Verhalten der Rechten mit dem Trotzverhalten eines Kleinkindes zu vergleichen. Wenn man dagegenredet, verstärkt es sich. Was soll man also reden? Verständnis zeigen?
PW: Nein.
Wie könnte dieses Aufeinanderzugehen im Bandkontext denn aussehen?
PW: Man könnte den Bandbus von Freiwild abfackeln.
Das ist vielleicht etwas viel verlangt, aber glauben Sie, dass Musik Abhilfe schaffen kann? Dass beispielsweise durch das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Szene gemeinsame Werte kultiviert werden können?
NW: Puh, den Begriff gemeinsame Werte finde ich schon schwierig. Das klingt gleich nach Sekte oder noch schlimmer.
PW: Zumindest kann Musik ein Mindset verändern. Ich glaube nicht, dass jemand, der Neil Young oder PJ Harvey hört, loszieht und Ausländer verdrischt.
Waren Sie selbst als Heranwachsende, als junge Musiker Teil einer Szene? Konnten Sie aus dieser Zeit etwas mitnehmen?
NW: Nein, Thomas und ich kommen vom Land und haben im Wald Tocotronic Kassetten gehört. Klingt romantisch, war es auch. Man braucht nicht unbedingt eine Szene, man kann auch aus der Einsamkeit viel mitnehmen.
PW: Ja. Ich hab alles durch. In den 80ern hatte ich ein Hippie-Phase, dann eine Punk-Phase, eine Wave-Phase, dann eine Hardcore Straight Edge-Phase. Das hat einem ein molliges Gefühl vom Anderssein verschafft.
Viele Bands wollen Politik – und damit „Vermittlung von Werten“ – aus ihrer Musik halten. Andere sind der Meinung, dass jeder Mensch politisch ist und dadurch auch jede Band. Wo verorten Sie Ihre Bands?
NW: Ja, ich denke auch, dass Handeln/Nicht- Handeln per se politisch ist. Aber nicht unbedingt „aktiv politisch“. Eventuell könnte man den Begriff „passiv politisch“ bilden. Das klingt aber eher nach vor dem Rechner sitzen und zum Beispiel Campact Aktionen zu unterschreiben. Aber wenn ich Texte schreibe, behandle ich nie ein konkretes Thema, eben auch kein politisches, da für mich Zeitlosigkeit wichtig ist. Da ich das lineare Zeitsystem ablehne.
PW: Wir sind ein politische Band. Ich will tiefe Löcher in Leben reißen. Als ich zum ersten Mal Sonic Youth gesehen habe, wusste ich dass ein Bürgerliches Leben keine Option ist.
Gibt es Werte, die Sie als Bands vermitteln – oder vorleben – wollen? Etwas, das Sie der Welt Abend für Abend mitgeben wollen?
NW Nein.
PW: Jede Zeile unserer Texte, jeden Beat, jedes Feedback und jeden Akkord. Gewaltkonzerte sind eine der wenigen Echoräume für die eigene Dunkelheit und das eigene Leuchten.
Wir danken Nina Walser von Friends of Gas und Patrick Wagner von Gewalt für dieses Gespräch. In diesem Atemzug empfehlen wir Ihnen, weiteren Shows der gemeinsamen Tour beider Bands beizuwohnen. Die Daten dazu finden Sie weiter unten. Was sie in etwa erwartet, können Sie in diesem Text über Gewalt, respektive in diesem Text über Friends of Gas erfahren. Wie auch immer, wir versprechen, Sie werden die Erfahrung nicht bereuen. Darüberhinaus empfehlen wir die Auseinandersetzung mit der aktuellen Platte "Fatal Schwach" von Friends of Gas, respektive der aktuellen Single Limiter/Verheimlichung von Gewalt. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Sun Worship hören.
Feb 02, 2018, Berlin, Berghain Kantine
Feb 03, 2018, Rostock, Peter-Weiss–Haus
Feb 04, 2018, Hamburg, Molotow
Feb 05, 2018, Düsseldorf, Zakk
Feb 06, 2018, Stuttgart, Goldmarks
Feb 07, 2018, Nürnberg, Zentralcafé im K4
Feb 09, 2018, CH, Baden, One Of A Million Festival