Die Natascha Kampusch des Indie.
BDSM-Spielchen. Apostasie. Kannibalismus. Und mit Jenny Elvers auch noch eine Kooperation mit einem vom Himmel gefallenen Engel – der im Schnapsfass gelandet ist. Max Gruber alias Drangsal weiß, mit welchen Themen er die Augen aller auf sich und sein Debütalbum "Harieschaim" richtet. Provokation ist die Maxime, die zum Erfolg führt. Klar, denn der dürre Bleichling hat laut eigenem Pressetext diverse Minderwertigkeitskomplexe zu kompensieren. Deswegen auch seine Musik, die stets versucht, mittels Megalomanie der Schablone des perfekten Pop-Songs aus den 80ern gerecht zu werden. Doch ist Massentauglichkeit nicht eine Todsünde für das Axiom des Affronts? Sie merken, die Kontroversen sind zahlreich. Zeit also für ein Gespräch auf dem Maifeld Derby über die menschlichen Hauptlaster.
Wir reden heute über Todsünden. Kannst du sie aus dem Kopf aufzählen?
Es sind sieben Stück. Eine ist auf jeden Fall Zorn. Dann ist Völlerei auch eine. Neid.
Dann gibt es noch Hochmut. Geiz. Faulheit. Und Wolllust. Mit welchen hattest du bisher den meisten Kontakt?
Zorn. Ich bin ein unfassbar jähzorniger Mensch. Wirklich. Von Natur aus. Ich habe eine sehr, sehr kurze Zündschnur und werde ganz schnell furchtbar böse. Es ist wirklich nicht auszuhalten. Man kann dann auch nicht mit mir reden. Es ist wie bei einem Ballon, der sich auf seine volle Größe aufpustet und zerplatzt. Dann hat man die Fetzen, die man aufsammeln muss. Danach hab ich zwar noch ein Grundflimmern an Wut, aber es pegelt sich wieder ein.
"Ich bin ein unfassbar jähzorniger Mensch."
Verarbeitest du deinen Zorn mit deinem Schaffensprozess?
Ich glaube schon, dass es mich wieder runterbringt, weil ich den Zorn dadurch kanalisieren kann. Wenn ich jedoch super pissig bin und dann versuche, einen heftigen Song zu machen, wird er noch schwülstiger. Anscheinend wandelt es das immer ins Gegenteil um. Aber das ist ja auch ganz interessant. Ich glaube die schnellsten und mächtigsten Songs, die ich geschrieben habe, sind die, während denen ich ganz melodramatisch drauf war.
Für welche Todsünde würde es sich lohnen, ins Fegefeuer zu kommen?
Für Faulheit. Das Fegefeuer ist ja eine Mischung aus Himmel und Hölle. Also ist es eigentlich wie das Leben. Ganz normal halt.
"Das Fegefeuer ist eine Mischung aus Himmel und Hölle. Wie das Leben."
Bist du faul?
Ich bin faul in der Art und Weise, dass ich es ablehne – und das ist eine erschreckende Erkenntnis, die ich an mir gemacht habe – neue Sachen für mich zu verinnerlichen. Meinen Wissenstand zu erweitern, wenn es um Dinge geht, die ich machen muss. Wenn ich mich ab morgen für Quantenphysik interessieren würde, würde ich mir wahrscheinlich ein Einsteiger-Buch holen und versuchen, es durchzupauken. Wenn es aber um Steuerrecht geht und ich weiß, dass ich mir das jetzt ein bisschen draufschaffen muss, dann ist da eine innere Ablehnungshaltung, die in Faulheit mündet. Und dann mache ich gar nichts.
Welche Sünde würdest du selbst erfinden?
Zotige Gedanken. Ich glaube, ich habe oft zotige Gedanken, für die ich bestimmt ins Fegefeuer kommen würde, wenn ich sie laut aussprechen würde.
"Ich habe oft zotige Gedanken."
Welche zotigen Gedanken hattest du heute?
Gerade eben haben sie dieses „Naked Hearts“ Ding gemacht. (Ein Kunstprojekt, bei dem sich nackte Menschen auf Festivals zu einem Herz formieren, Anm. d. Red.) … Ich habe ein sehr ambivalentes, bipolares Verhältnis zu Körperlichkeit und zu Jugend. Und da bin ich in eine ganz merkwürdige Spirale abgedriftet. Irgendetwas zwischen Wollust und Zorn.
Also wolltest du da hin und etwas Schönes kaputt machen?
Oder etwas Kaputtes schön machen.
Du hast also ein ambivalentes Gefühl zu Körperlichkeit? Was heißt das?
Ich habe im Allgemeinen selten Interesse daran, mit jemandem zu sein. Ob das Männlein oder Weiblein ist, sei jetzt mal dahingestellt. Aber ich bin am liebsten alleine. Wenn der Raum hier die zwei Fenster nicht hätte und ich hier alleine sitzen würde, könntet ihr mich in einer Woche wieder abholen und mir ginge es immer noch 1A.
„Ich habe selten Interesse daran, mit jemandem zu sein.“
Welche Todsünde hat die Indie Szene in Deutschland für dich begangen?
Faulheit mit Völlerei. Das meiste ist uninspiriert. Wenn ich sage, etwas ist uninspiriert, werfen mir die Leute vor „Du hast deine Musik doch auch geklaut.“. Und lassen dann immer völlig beiseite, dass diese Songs, trotz alledem, dass sie in diesem Gewand der 80er Jahre produziert wurden, zweifelsohne ein gewisses Skillset mit sich bringen müssen. Und dass ein Typ mit 17 Jahren alles alleine eingespielt hat. Wenn jemand eine Gitarre in die Hand nimmt, D-G-A spielt und dann irgendwelche „Ich bin Student und mir geht’s nicht so gut“–Musik macht, dann finde ich das uninspiriert. Es gibt ja auch gute Gruppen. Es gibt Karies. Die Nerven. Es gibt Human Abfall. Stuttgart ist da spitzenmäßig, das finde ich alles toll. Und auch, wenn meine Musik ganz anders ist, fühle ich mich eher mit solchen Leuten verbunden. Doch zieh’ dir mal das neue Trümmer Album rein.
Wir finden es schrecklich.
Ja, ich auch. Aber vor Kurzem ist das beste Album 2016 aus Deutschland rausgekommen: „Pop & Tod I & II“ von Die Heiterkeit. Megamäßiges Album. Unfassbar. Stella hat’s mir geschickt, als es fertig war. Wir waren auch im Studio zusammen mit der ganzen Drangsal Live Band und haben mit noch ein paar anderen Leuten im Chor einen Song eingesungen. Das Doppelalbum ist ein Epos. Da sind nur Hits drauf.
Dabei hast du mit „Harieschaim“ selbst ein großes Medienecho hervorgerufen. Wo andere Bands vergleichsweise lange drauf warten müssen.
Die sind ja auch langweilig. Ich bin wenigstens interessant. Ich habe ja auch etwas zu sagen. Ich habe ja auch 21 Jahre in meinem Kämmerlein gesessen und mich so dick aufgeblasen, bis dieses Kämmerlein irgendwann geplatzt ist. Ich bin die Natascha Kampusch des Indie. Fuck ja!
„Ich bin die Natascha Kampusch des Indie.“
Hast du denn Angst, mit deiner zweiten Platte deine selbst ausgetretenen Fußstapfen nicht füllen zu können?
Vielen wird mein zweites Album nicht gefallen. Weil die neuen Songs einfach anders sind. Vor allem Leuten, die Songs wie „Love Me Or Leave Me Alone“ oder „Allan Align“ mögen. Diese Songs sind für mich einfach vier Jahre alt. Die habe ich jetzt schon zehn Mal gefressen und wieder ausgeschissen. Doch ich habe seitdem nicht aufgehört zu schreiben. Ich habe alles genommen, was ich seitdem geschrieben habe und gesagt: „Alles klar, jetzt ist Harieschaim fertig. Zu fünfzig Prozent gefällt und zu fünfzig Prozent missfällt es mir. Jetzt mach’ ich nochmal von vorne.“ Und ich bin als Songwriter besser geworden. Fuck, ich war 17 oder 18, als ich „Allan Align“ geschrieben habe. Da hatte ich meinen ersten richtigen Computer, mit dem ich aufnehmen konnte. Ich hatte das erste Mal eine eigene Gitarre.
Mittlerweile gibt es andere Songs, bei denen mir die Sonne aus dem Herzen scheint. Jetzt versuche ich, das Alte und das Neue zusammenzubringen. Ich habe mich lustigerweise vor Kurzem mit Max (Rieger, Anm. d. Red.) darüber unterhalten. Ich habe ihm fünf Songs geschickt, die auf dem neuen Album sein sollen. Er findet sie gut.
Produziert Max Rieger das Album mit? Schließlich hast du lange genug um Markus Ganter gekämpft.
Ja, er macht ein bisschen den Produzenten, dass es nicht mehr so klingt, wie es jetzt klingt. Aber der Markus ist natürlich auch dabei.
Zum Abschluss: Mahatma Gandhi hat die Todsünden mal ins Moderne übertragen. Eine davon ist für ihn ‚Geschäft ohne Moral‘. Trifft das auf das Musik-Business zu?
Wie Sau. Ich möchte jetzt keine Namen nennen, aber es gibt vorne rum – und es gibt hinten rum. Jetzt ist „Harieschaim“ gechartet und plötzlich sind der Platte gegenüber alle viel wohlwollender gestimmt. Vorher meinten sie noch:„Das wird voll cool. Wir machen das so wie mit der Band.“ Am Ende, als es dann wirklich etwas verkauft hat, kamen sie und meinten: „Wir haben Megaverluste einkalkuliert. Wir sind froh, dass überhaupt etwas passiert ist.“ Aber so ist das eben.
„Ich lasse mich nicht verarschen.“
Ich habe selbst immer nah an der Musikbranche gearbeitet. Ich war mit 18 mit der Schule fertig, habe drei Wochen studiert, fand’s scheiße und hab’ mich in Heidelberg beim Karlstorbahnhof für ein FSJ beworben. Die haben mich nicht genommen. Also bin ich nach Berlin gezogen und wurde bei Domino Records ins kalte Wasser geworfen. Tina Adams, die jetzt die Labelchefin von Caroline in Deutschland ist, hat damals neben mir bei Domino gearbeitet. Danach war ich mit Casper auf Tour und habe bei Sizarr geholfen, wenn sie auf Tour waren. Da konnte ich viel mitnehmen. Vor allem auch von den schlechten Seiten. Und deshalb glaube ich, hat es bei mir auch so schnell so gut geklappt. Weil ich mich einfach nicht verarschen lasse.
Wir danken Max Gruber für das Gespräch. Hier lesen Sie einen Abriss über seine Schau am Maifeld Derby. Hier sehen Sie eine photographische Rekonstruktion selbiger. Hier lesen Sie eine Meinung zu seinem Debüt-Album „Harieschaim“. Wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre. Im Übrigen sind wir der Meinung, dass sie mehr Human Abfall hören sollten.