Stagnation bedeutet Unglück.
Die Band MESSER galt bis zur Veröffentlichung ihres jüngsten Werks "Jalousie" gemeinhin als düstere Post Punk Band mit Hang zu lyrischen, der Hermeneutik entfliehenden Texten. Wohlan, "Im Schwindel" und "Die Unsichtbaren" wirken wie im Fiebertraum ausgekotzt. Wie Songs, die sich angestaut haben. Vielleicht über Jahre. Schließlich intensiv, klaustrophobisch, spröde – doch unglaublich drastisch – auf ein Medium gepresst.
Auf "Jalousie" lüftet die Band auf grandiose Art und Weise den eigenen Sound und gibt den Blick frei auf das, was da noch kommen mag: Denn ab jetzt ist alles möglich. Eines der zahlreichen Nova ist dabei die völlig Kitsch-freie Auseinandersetzung mit dem Thema Glück. Doch was ist das eigentlich? Der Versuch einer Beantwortung.
Was bedeutet Glück für Sie?
Otremba: Das ist eine Frage, die man in unserem Alter und mit unserem Erfahrungshorizont noch gar nicht definiert beantworten kann. Ich weiß, dass es Kleinigkeiten gibt, an denen ich ein Glücklichsein bemessen kann, aber ich finde es schwierig, präzise darauf zu antworten. Unversehrtheit. Konfliktfreiheit. Das Freisein von Verfolgung und Vertreibung. Solche Dinge.
Wulf: Aber das sind Dinge, die zum Menschsein dazugehören müssen. Was jedem Menschen gewährt sein müsste. Glück wäre dann eigentlich noch das On-Top. Natürlich ist das nicht Realität für alle, aber dann würde man den Normalzustand woanders ansetzen.
Otremba: Vielleicht haben sich die Zustände schon so verschoben, dass man Glück neu definieren muss.
"Es gibt Momente auf der Bühne, wo ich einfach Glück empfinde."
Philipp Wulf
Wulf: Was den Begriff komplex macht, ist, dass er von der landläufigen Bedeutung her ein imaginierter Zielzustand ist. Dass man alt und glücklich sein will. Bestimmte Dinge können einen nicht mehr so ärgern. Ein Angekommensein in einem Zustand des Glücks. Das macht die Definition auch gerade für uns so schwierig. Es gibt eher Situationen, in denen man weiß, man empfindet Glück. In dem Moment will es einem vielleicht auch schon wieder entgleiten. Es gibt Momente auf der Bühne, wo ich einfach Glück empfinde. Weil ich dann gar nicht in der Lage bin, über etwas anderes nachzudenken und mich zu ärgern.
Otremba: Glück als Ziel spielt vielleicht gar keine so große Rolle, weil es Stillstand bedeuten würde. Ich habe die glücklichsten Gefühle, wenn ich weiß, ich verändere mich. Diese Veränderung bedeutet, dass ich Dinge entdecke, von denen ich noch gar nicht wusste, wie schön, toll und wichtig sie für mich sind. Deshalb glaube ich gar nicht, dass unser Streben nach Glück darauf gerichtet ist, in einem finalen Zustand anzugelangen. Weil das wiederum Stagnation bedeutet. Oder Enttäuschung. Und vielleicht ist gerade das Spannende, sich immer wieder zu fragen, wie verändere ich mich, dass sich auch meine Ansprüche an das Glücklichsein verändern.
Kommen wir zur Kreation. Bedeutet es für Sie mehr Glück, das fertige Werk in der Hand zu halten? Oder bedeutet der Prozess an sich mehr Glück?
Chittka: Ich würde hier eher den Prozess wählen, als das vermeintliche Irgendwo-Ankommen. Nach Außen sieht es vielleicht so aus, als sei die Platte der Abschluss von etwas, aber für einen selbst verändern sich Songs auch noch danach. Man kann keine kreativen Entscheidungen fällen, die bleiben. Die unverrückbar im Raum stehen.
Weil Sie bereits an die nächste Platte denken?
Wulf: Genau das! Die Platte rausbringen, das Abschließen bedeutet eine Art Reset-Stellung, damit wir mit dem nächsten weitermachen können. In solch einem langen Prozess, wie den drei Jahren, in denen die Platte entstanden ist, denkt man natürlich: "Jetzt wäre es doch mal gut, wenn sie fertig wäre." Dann kann man an neue Sachen rangehen. Das darf man nicht leugnen. Auch das Abschließen kann sehr beglückend sein.
"Während des Prozesses weißt du gar nicht, was du tust."
Hendrik Otremba
Otremba: Ich kann nachvollziehen, was du schilderst. Ich habe auch Momente, wo ich denke, "Boah, ein neuer Mix kommt!" Dann spürt man einen Genuss. Ich finde, die Platte in der Hand zu halten und zu wissen, das Artwork, es geht auf. Das ist für mich ein sehr glücklicher Moment. Ich habe immer das Gefühl, und das ist auch das Reizvolle, während des Prozesses weiß man gar nicht, was man tut und hat ein Vertrauen, dass es in die richtige Richtung geht. Zu einer Interpretationshaltung zu dem, was wir machen zu gelangen, kann ich erst, wenn es da ist. Ich denke auch immer erst über meine eigenen Texte nach, wenn die Platte schon da ist.
Pogo, du hattest den Überblick über die ganze Produktion und bei dir lief alles zusammen. Für dich war es wahrscheinlich auch der Prozess, oder?
McCarntey: Es gibt da unterschiedliche Ebenen. Wir sind als Band gestartet, weil das für uns immer eine freundschaftliche Bedeutung hatte. Darum ist die Form von Glück, die ich als erstes empfinde, die Zeit, die wir zusammen haben. Weil wir uns einfach nicht so oft sehen. Das ist eine Form von freundschaftlichem Glück, von Zuneigung, die stattfindet, die mich in solchen Phasen sehr glücklich macht. Das ist eine Ebene, die für mich eine höheren Stellenwert hat als der kreative Prozess. Der kreative Prozess hat natürlich auch einen Riesenanteil. Den möchte ich gar nicht kleiner machen. Der ist auch großartig. Und er war für mich noch mal anders, weil ich an dieser Platte mehr mitgearbeitet habe. Als eine Art Produzent, mit Robin zusammen. Das hat mich glücklich gemacht. Aber sonst sehe ich das wie Manuel. Die Songs sind jetzt für den Moment fertig. Aber wie das bei unseren Songs so ist, spielen wir sie live natürlich anders.
Otremba: Das finde ich einen überzeugenden Aspekt. Eine Platte im Prozess ist die glücklichere Form. Weil man dann mehr rumhängt. Das finde ich gut.
Wulf: Oder auf Tour sein. Das hat uns auch gefehlt. Man darf nicht vergessen, dass das Abschließen einer Platte auch bedeutet, man kann wieder eine Tour und Konzerte spielen.
Ist dieser Prozess des Ausprobierens, wohin die Reise geht, etwas, das Sie nach den ersten beiden Alben "Im Schwindel" und "Die Unsichtbaren" ersehnt haben?
Otremba: Auf jeden Fall. Durch Zuwachs und Weggang hat sich sowieso viel verändert. Es hätte uns aber nicht gereizt, einfach strikt weiterzumachen. Auch mit dem Songwriting. Da langweilen wir uns alle ziemlich schnell. Ich mag es immer, sich auf dünnes Eis zu wagen, solange das Wasser nicht zu kalt ist.
Wulf: Grundsätzlich ist die Empfindung von Glück für uns maßgeblich und oftmals an die Band gekoppelt. Auch die Entscheidung, das Leben so einzurichten, dass man mit der Band Musik machen kann. Wenn man sich dann in den Raum begibt, Tour, Studio, Proben – alles was mit Band zu tun hat, ist das auch immer eine Abkehr von dem, was man im Leben nicht so gut findet.
Otremba: Gleichzeitig würde ich hinzufügen, dass Glück auch heißen kann, mal nichts mit der Band zu tun haben zu müssen. Das kann man sich, glaube ich, eingestehen. Es gibt Zeiten, wo man mal genervt ist. Aber immer in dem Bewusstsein, wie schön es ist, dass es das gibt und es wieder kommt.
Wulf: Wenn aber für jemanden diese Entlohnung in Form von Glück ausbleibt, kann das eben auch zu Besetzungswechsel führen. Was wir auch erlebt haben. Das muss man natürlich auch akzeptieren.
Der Dalai Lama meint, dass man auf dem Weg zum Glück unter anderem Zorn überwinden muss. Wie sehen Sie das?
McCartney: Ich wäre zornig, wenn ich das nicht hätte. Natürlich gibt es Zorn in meinem Leben. Es gibt dafür viele Gründe. Ob das persönliche sind oder sonst was. Die Band macht mich ausgeglichener.
Otremba: Wie wenn man ganz viel schreit, bevor man in ein Streitgespräch geht. Und dann ist man gelassen. So?
McCartney: Vielleicht. Wir machen das ja schon viele Jahre. Vorher hab ich schon andere Sachen gemacht. So dass ich gar nicht mehr weiß, wie das ohne Musik ist. Aber ich kann mir vorstellen, dass mir das sehr fehlen und mich das sehr frustrieren würde. Was dann wiederum zu Zorn führen würde.
"Ich wäre zornig, wenn ich das nicht hätte."
Pogo McCartney
Otremba: Ich glaube, dass Wut und Zorn in einer Band erstmal das Einfachste ist. Da muss man einfach nur etwas, das sowieso intensiv ist, in Kanäle schieben. Ich glaube, dass man mit der Zeit nicht weniger zornig wird, aber dass Ausdrucksformen für andere Gemütszustände und Facetten mit Zorn verbunden sind. Eine Frage nach Glück stellt sich ja auch in einer Frage nach Unglück, die dann auch wieder mit Zorn und Wut verbunden sein kann. Man lernt als Band auch Formen der Auseinandersetzung mit anderen Zuständen. Erstmal arbeitet man sich an Wut und Zorn ab, weil es naheliegend ist. Dann aber wird man facettenreicher in den Formen der Auseinandersetzung. Wut und Zorn sind immer einfach. Um ins Detail zu gehen, braucht man erstmal Selbstbewusstsein.
Haben Sie das Gefühl, dass dieses Selbstbewusstsein jetzt da ist?
Otremba: Auf jeden Fall mehr als früher.
Wulf: Als die Stücke der neuen Platte entstanden sind, hatte ich schon das Gefühl, man begibt sich da tendenziell in einen Bereich von Peinlichkeit. Gar nicht im negativen Sinne. Das hatte ich zum Teil vorher immer mal. Zum Beispiel bei dem Stück „Das Versteck der Muräne“. In diesem Lied macht sich die Stimme auf eine Art „nackt“. Diese Momente des Peinlichen und Privaten, Intimen, das man eigentlich nicht so nach außen kehrt, oder das vielleicht einfach seltener gemacht wird. Oder wenn, dann auf eine massengeschmacklich abgefederte Art, damit sie anschlussfähig bleibt und damit sie als Identitätsangebot funktioniert. Da musste man erstmal überlegen, ob das jetzt etwas ist, wo wir alle auch dahinter stehen. Da finden schon Gespräche statt innerhalb der Band. Auch über Texte.
Otremba: Die Gespräche sind wichtig, weil man das nicht für sich entscheiden kann. Und weil man das gemeinsam als Band herausfinden muss. Das ist ja auch das Tolle an einer Band, wo man miteinander spricht, und wo es eben nicht die Struktur von entscheidenden und ausführenden Personen gibt. Dass alles, was man reinwirft einen Resonanzraum findet. Dass eine gemeinsame Auseinandersetzung stattfindet. Das ist, glaube ich, wichtig. Nicht nur, damit jeder sich identifizieren kann, sondern dass die Person, die gerade reinruft, etwas zurückbekommt, um selbst mehr Klarheit zu gewinnen. Es ist ja nicht so, dass man seine Meinung hat und man sagt die und dann müssen die anderen sich damit auseinandersetzen. Sondern man muss sich selbst wieder neu damit auseinandersetzen.
Unter Künstlern gibt es das Mantra, Unglück empfinden zu müssen, um ein „echtes“ Werk schaffen zu können. Sie, Herr Otremba, haben in einem Text über das Schreiben einmal konstatiert „Es muss weh tun.“ Wenn man Glück als Zufriedenheit empfindet: Müssen Sie sich in Unglück begeben, um schaffen zu können?
Otremba: Ich denke, da muss man sich gar nicht hineinbegeben. Denn selbst, wenn man privates oder persönliches Glück empfindet, bedeutet das nicht, dass das universell für einen wird. Weil wir ja mit offenen Augen und Ohren durch’s Leben gehen. Und mein Glück zum Beispiel, verliebt zu sein, mich nicht blind oder taub gegenüber Zuständen macht. Ich glaube, generelle Zufriedenheit ist sowieso nicht gegeben, wenn man sich als fragender, beobachtender Mensch begreift. Was wir alle tun. Ich finde es momentan auch reizvoller, und davon handelt auch das Album Jalousie auf eine Art, in diesem Bewusstsein, wie kacke alles ist, dennoch etwas Schönes zu finden. Ich finde, dass das die größere künstlerische Herausforderung ist: Dafür eine Form zu finden, in der man nicht endlos verkitscht.
Wulf: Die Frage ist auch, wenn jemand dieses Glücklichsein vor sich her trägt, ob das eine Art von Verschleierung oder Harmonisierung mit dem Zustand der Welt ist. Wenn man Leute hört, die sagen „Ich hab jetzt so einen tollen Job, jetzt habe ich alles, was ich will.“ Dann frage ich mich schon manchmal, wie man sich über Lohnarbeit so sehr freut. Man könnte ja auch einfach nur sagen, und das wäre die richtige Formulierung dafür, was diese Leute auch sagen wollen, man hat eine Tätigkeit gefunden, die sich glücklicherweise mit den eigenen Interessen stark deckt. Aber die bekommt eine Funktion zugewiesen, die per se zu problematisieren wäre. Nämlich, dass man Arbeiten gehen muss. Nicht nur, um sich über Wasser zu halten, sondern auch, um damit soziales Prestige zu erlangen. Da findet etwas statt, wo ich das Gefühl habe, dass man sich mit Zuständen ins Reine bringt, die eigentlich gar nicht akzeptabel sind. Wie zum Beispiel, wenn man an diesen karrieristischen Bestrebungen scheitert, es automatisch Unglück bedeuten. Obwohl es das gar nicht müsste.
"Ein unzufriedener Zustand ist ein großer Motivator."
Pogo McCartney.
McCartney: Ich finde, Unglück ist auch ein großer Motivator. Unglück ist vielleicht nicht treffend, aber ein unzufriedener Zustand. Ich war in meiner Jugend übergewichtiger Punker auf einem ganz kleinen Dorf. Man kann sich vorstellen, dass das nicht immer einfach war. Dieser Zustand hat aber dazu geführt, dass ich mich bewusst für oder gegen Dinge entschieden habe. Nämlich, diese Spielchen da nicht mitzuspielen, sondern aus dieser Welt herauszukommen. Da war Musik eine große Sache für mich. Ich glaube, dass das einen großen Anteil daran hat, dass ich heute die Musik mache, die ich machen möchte. Die ich jetzt in dieser Zeit MESSER und auch schon vorher gemacht habe. Ich glaube, es wäre nie dazu gekommen, wenn ich das nicht gehabt hätte. Deswegen verspüre ich fast sogar eine gewisse Dankbarkeit dafür.
Otremba: Ja man lernt dadurch auch etwas. Man lernt Abgrenzung, Bewegung, Fortbewegung und Weiterentwicklung dadurch lieben. Man wird vielleicht sogar, wie du das gerade eben beschreibst, demütig gegenüber eigenen Entscheidungen und den Möglichkeiten der Entscheidungen. Das kann ich gut nachvollziehen, das geht mir glaube ich ähnlich.
Herr Otremba, hatten Sie ein ähnliches Gefühl in der Jugend?
Otremba: Ich habe in einer kleineren Stadt gewohnt. Und nicht auf dem Dorf, wo, glaube ich, das Setting rougher ist, wenn man so ein exzentrischer Typ ist wie Pogo. Oder die anderen Mitglieder von MESSER. Aber ich kann nachvollziehen, dass man sich nie zugehörig gefühlt hat und nie Identifikation gefunden hat, mit dem, was man schnell finden konnte. Und immer gespürt hat: Da möchte ich nicht bleiben oder landen. Wenn das Unglück ist, dann hat mir das auch geholfen.
Wie war das beim Rest der Band? Gab es lange Phasen von Unzufriedenheit?
Wulf: Ich kann das schnell zusammenfassen. Bei mir war das klassisches Bildungsbürgertum. Das in ihrer zwar vertuschten, aber doch vorhandenen Spießigkeit und gewissem Autoritätsdenken bedeutete, dass ich anecken musste. Weil ich gemerkt habe, ich kann dem, was ich mir wünsche, sonst nicht nachgehen. Das hatte maßgeblich mit Konflikten zu tun. Von den Leuten, mit denen ich zur Schule gegangen bin, habe ich noch zu einer Person Kontakt. Da musste man wo anders suchen gehen. Es war auch gar nicht selbstverständlich, Leute zu haben, mit denen man sich Interessen teilt. Gerade, als ich Hardcore und Punk für mich entdeckt habe. Als ich meine Leute hatte, mit denen ich meine erste Hardcore-Band gegründet habe, war der Rest besser zu ertragen.
Otremba: Ich finde, das ist auch etwas schönes daran, in einer Band zusammen zu sein. Dass man Fragen, die man sich selber stellt und die Fragen, die Sie auch diesbezüglich gestellt haben, nicht mehr nur für sich selbst beantwortet. Sondern dass man permanent beobachtet, wie das andere machen. Und man vielleicht auch Dinge sieht, die man nicht gutheißt, oder die man anders sieht. Ich glaube, das ist etwas, was immer in Freundschaften entsteht, wenn es intensive Auseinandersetzungen untereinander gibt. In einer Band oder in der Kunst generell ist es so, dass das eine andere Form der gemeinsamen Auseinandersetzung mit dem Blick in die Runde erfordert. Wie in einem Spiegelkabinett.
Glück bezeichnet auch einen günstigen Umstand. Haben Sie das Gefühl, als Band Glück gehabt zu haben?
Chittka: Ich glaube, was sich viele in der Musik wünschen, ist eine Form von Fairness. Aber diese existiert nicht. Deswegen glaube ich, dass Glück dazugehört, wenn es darum geht, dass man in einer Band spielt, die Konzerte spielen darf, die Platten veröffentlichen darf – auf welchem Level auch immer. Sehr viele haben die Vorstellung, eine Band muss diesen oder jenen Weg gegangen sein, um irgendwo sein zu dürfen. Aber das existiert so nicht. Deswegen glaube ich, gibt es so etwas wie das Glück, zur rechten Zeit etwas gemacht zu haben, das bei irgendjemandem irgendetwas ausgelöst hat.
Wulf: Wobei das natürlich auch schwierig ist, weil das in die Richtung geht, dass das Glück, das man als Band hat, ganz stark an eine Form von Anerkennung geknüpft ist. Da begibt man sich in einen Bereich der Abhängigkeit. Weil: Wenn die Anerkennung wegbleibt, stürzt man dann automatisch ins Unglück? Bestenfalls müsste die Idee sein, dass man das Glück, das man in der Band erfährt, aus sich selbst heraus schöpft. Dass das Glück dann ist, dass man Musik machen kann. Dass man umsetzen kann, wie man will. Wenn keiner die Platte kaufen will, sollte man einen State of Mind finden, in dem einen das nicht stört. Ich glaube, das ist etwas, was man immer mehr lernen muss. Sich da in kein Konkurrenzdenken zu begeben. Denn das ist tatsächlich total verbreitet. Bis dahin, wo man sich um Chart-Plätze rangelt. Zwar nicht immer auf bösartige Art und Weise. Aber das ist da. Es ist ein Prozess, zu lernen, dass man das nicht mitmachen möchte. Man macht eben sein Ding. Und die anderen machen ihr Ding. Und das ist toll. Das muss man auch nicht vergleichen.
"Stagnation bedeutet für mich Unglück."
Hendrik Otremba
Otremba: Ich habe das Gefühl, dass man selbst, wenn es gut läuft, manchmal schmerzhaft desillusioniert wird. Weil man vorher Luftschlösser oder naive Vorstellungen hatte. Und merkt: So läuft’s aber nicht. Ich bin aber damit, wie’s bei MESSER ist, ziemlich glücklich. Weil es permanent weitergeht und sich entwickelt. Was mich unglücklich macht, ist, dass es Bands gibt, die das noch vielmehr verdient hätten. Und dass es ihnen auf Grund von Bedingungen nicht möglich ist. Dass ich deren Unglück sehe, macht mich unglücklich. Nicht mal die Sorge, dass sie neidisch sind, sondern eher, dass man nicht will, dass sie unglücklich sind. Und weiß, dass die das, was wir haben, so gerne auch hätten. Das muss man auch gar nicht auf Musik reduzieren. Wenn’s bei einem selber funktioniert, bemerkt man, bei wem es nicht so gut funktioniert. Und das ist scheiße. Denn man gönnt es eigentlich allen.
Was ist das eine Glück, das Sie mit MESSER gerne erleben möchten?
McCartney: (lacht) 'Ne Goldene Schallplatte und ’n Grammy.
Otremba: Dass man auch kleine Sachen als Glückserfüllung sucht. Vielleicht auch im Blick darauf, was uns schon glücklich gemacht hat. Zum Beispiel, dass wir nach China fliegen durften. Weil das sowohl privat als auch künstlerisch für den Raum Band etwas krasses war. Das wäre für mich Glück, dass wir weitermachen können als Band. Und weiterhin intensive Erfahrungen gemeinsam sammeln können. Die etwas mit uns machen und uns verändern. Ich glaube, das, wovor ich am meisten Angst habe und was für mich dementsprechend Unglück bedeutet, ist Stagnation.
"Ich habe nicht das Gefühl, dass wir an einem Punkt sind, wo alles entspannt ist."
Hendrik Otremba
Wulf: Ich glaube, dass wir das, was wir uns als Glück für die Band versprechen, ein Stück weit selbst in der Hand haben. Wir wünschen uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dass wir noch lange weiter zusammen spielen. Und ich glaube, dass wir die Musik, die wir schreiben, schon so anlegen, dass sie sich nicht auf etwas zuspitzt. Dass wir uns in keiner Sackgasse befinden, in der wir das reproduzieren, was gerade funktioniert. Die Musik selbst soll in ihren Strukturen so offen bleiben, dass man danach immer wieder überlegen kann: Was machen wir denn diesmal? Wo knüpfen wir denn jetzt an? Wir haben letztens aus Spaß darüber gesprochen, ob wir auf der neuen Platte Dub-Anleihen einbauen wollen. Als Band MESSER könnte man das machen. Dahingehend glaube ich, dass wir Glück nicht so sehr von der Anerkennung, die zurückkommt, abhängig machen. Sondern, dass wir lernen, unsere Freude aus unserem Zusammensein und Zusammenspiel zu schöpfen. Sollten wir das aber nicht mehr wollen, können wir es immer noch sein lassen. Die Band soll auch kein verkrampftes Festhalten werden. Ich glaube, Glück wäre für mich, dass wir uns den Spaß daran immer wieder erneuern. Und uns immer noch etwas einfällt, was wir selber interessant finden.
Otremba: Ich glaube, das geht mit einer gewissen Verantwortung einher. Die jeder für sich, aber die man auch in der Gruppe hat. Dafür zu sorgen, dass die Band so miteinander funktioniert, dass Abhängigkeiten nicht so stark werden. Dass man sich innerhalb der Band Freiräume lässt, in anderen Dingen Identität und Glück zu finden. Wir haben ja bereits Veränderungen erfahren und mussten uns diese Fragen stellen. Da habe ich nicht das Gefühl, dass wir an einem Punkt sind, wo alles entspannt ist, und jetzt mag kommen was will. Ich glaube, wir wären alle todtraurig, wenn MESSER vorbei wäre. Aber ich glaube, dass wir langsam in eine Richtung gehen, in der wir zulassen, dass man sich auch andere Räume eröffnet. In denen man ähnliches Glück empfinden kann.
Die Zeichen stehen gut.
Wir danken der Band MESSER für das anregende, intensive Gespräch. Und empfehlen Ihnen in diesem Atemzug die nähere Auseinandersetzung mit dem Werk der Truppe. Im Speziellen mit den jüngsten Schöpfungen "Jalousie" beziehungsweise "Kachelbad". Beide Platten sind bei Trocadero erschienen. Wir empfehlen jeweils den legalen Erwerb. Hier lesen Sie einen Text über die Schau der Band MESSER im Zwölfzehn in Stuttgart. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Human Abfall hören.