Das Ringen mit der Realität.
Es ist nicht einfach. Es ist ein Ringen. Es ist ein Kampf. Anfang des Jahres machten Karies mit ihrer selbstbetitelten EP einen kleinen Schritt in poppigere Gefilde. Mit ihrem aktuell vorliegenden, zweiten Longplayer mit dem wundervoll in österreichisches Lokalkolorit getünchten Titel "Es geht sich aus" ist dieser Ausflug Geschichte. Der erste Durchlauf ist ein Spießrutenlauf. Durch einen dunklen, kalten Raum aus Verschrobenheit, Idiosynkrasie, Unnahbarkeit. Doch nach und nach durchzieht ihn Wärme. Staub wirbelt auf. Er beginnt zu atmen. Organisch, doch erschlagend, eingefangen und konserviert, natürlich, von Ralv Milberg und seinem Ziehsohn Max Rieger.
Denn "Es geht sich aus" fordert, fordert, fordert. Mit beinahe enervierend stoischem Schlagzeug. Eingespielt noch vom mittlerweile ehemaligen Schlagzeuger Kevin Kuhn. Mit Gitarren, die in ihrer Kälte ihresgleichen suchen. Mal wie giftige Spinnen durch dunkle Ecken huschen. Flink und beängstigend. Mal wie Schimmel an den Wänden kleben. Schwerfällig und klebrig. Mit einem unheilvollen Bass, der einen Großteil der Songs auf seine Schultern nimmt. Mit den zwar alternierend eingesetzten, doch gleichbleibend durchdringenden Stimmen von Benjamin Schröter und Max Nosek. Mit verworrenen Texten, die der Hermeneutik den Mittelfinger zeigen. Denn nichts ist in Ordnung, wenn Bassist Nosek emotionslos "Es geht mir gut" verspricht. Und die Krise endet dann, wenn man mit "Mühlen" akzeptiert, dass sie nie endet.
Fordernd war wohl auch der Aufnahmeprozess in den Milberg Studios im Stuttgarter Süden. So zählt Rieger die Sessions zum "Morbidesten, das ich jemals erleben durfte." Es bleibt nur zu erahnen, was in diesen sieben Tagen geschehen ist. Doch das Ergebnis lässt Vermutungen zu. Denn es zerrüttet mit spröder Gleichgültigkeit mediale Erwartungshaltungen an die Musikgruppe aus dem Dunstkreis der Feuilleton-Lieblinge Die Nerven. Es vernachlässigt die gängige Band-Konstellation eines einzigen exaltierten Leaders. Es strapaziert, nagt, schwächt die Hemmungen vor Ausbrüchen. Zersetzt sie im treibenden Titeltrack und bisher besten Song dieser Truppe in einem explosiven Crescendo schließlich vollends und fördert das nackte Dasein selbiger zu Tage.
Es bleibt nicht einfach. Es bleibt ein Ringen. Es bleibt ein Kampf – bis zuletzt. Doch ein Kampf, der sich lohnt, wie kein zweiter. Beschreibt er doch ehrlich, rau, unverblümt den täglichen Wahnsinn, der sich hinter Betonfassaden abspielt. In den Köpfen der Menschen. Die Trauer um zerstörte Träume. Die mit ein paar versteckten Tränen von den Wangen fließt und in die Depression kondensiert. Die lähmende Angst vor all dem, was da kommen mag. Vor den eigenen Wünschen. Den Zwist zwischen Liebenden. Die Absurdität, die persönliche Abhängigkeit auslösen kann. Den tristen Trott der Maloche, die wir hassen. Und die uns höchstwahrscheinlich auch hasst. Das ganz normale Leben also.
"Es geht sich aus" zelebriert diese Hegemonie der Härte, diese dunkle Dystopie, die längst wahr ist. Und es ist "Ein Fest". Nennen Sie es Punk. Nennen Sie es Post Punk, No Wave, Stuttgart Sound. Ziehen Sie Vergleiche zu Sonic Youth, Abwärts. Es ist alles egal. "Es geht sich aus" bleibt die düsterste Dublette der Realität. Das eindringlichste Ebenbild des Ringens. Die nachdrücklichste Platte dieses Herbstes.
"Es geht sich aus" erscheint bei This Charming Man Records. Wir empfehlen den legalen Erwerb. Genau wie das Beiwohnen bei einer oder mehreren Release-Shows, die im März des nächsten Jahres stattfinden werden. Und den empfehlenswerten Blick auf das neue Mitglied Philipp Knoth am Schlagzeug ermöglichen. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Human Abfall hören.