Ich und meine 1000 Freunde von Peter Muffin.

Bin ich jetzt ein hedonistischer Nihilist, oder doch ein sozial engagierter Linksautonomer? Kann ich nicht beides sein? Finde ich's eigentlich geiler, mir zehn Folgen Bojack Horseman in Folge reinzuballern, oder bin ich schon bei Rick and Morty angekommen, oder ist das nicht eh schon wieder viel zu gehypt (Hallo, die Typen, die in den USA wegen der doofen Sauce durchdrehen!) oder, nein, oder beziehungsweise und guck ich in Wirklichkeit gar keine Serien mehr, sondern nur noch Memes? Memes! Sind ja auch nur mehr so 2017. Nein, oder lese ich nur noch die Kommentare von radikalen IS-Anhängern auf Facebook-Posts von der Vice. Die zweite Staffel ist ja auch besser als die erste. Finde ich diese ganze Ironie wirklich zum Kotzen, oder ist mein "Zum-Kotzen-Finden" nicht auch nur pure Ironie, weil ja ohnehin alles zum Kotzen ist und ich in Wirklichkeit mit dem "Zum-Kotzen-Finden" nur schulterzuckend affirmativ handle?
Muss ich zu jeder Regierungsbildung, Flüchtlings-Krise, zu jedem "Tag someone" bei Facebook immer etwas kommentieren, liken, herzen, wütenden? Und wenn ja, warum nicht auch nicht? Warum kann ich auf meinen Tweet nicht mit meiner Insta-Story antworten? Immerhin zeige ich auf den zwei Plattformen zwei meiner geilen, unechten Gesichter!? Oder doch nicht? Immer nur Meinungen, Meinungen, Meinungen und alle, die sich damit brillieren, in den Vordergrund drängen, und das, was die anderen sagen, komplett ignorieren, als wären sie die pursten Politiker, während jede Meinung nur einen Schein poliert. Ich find' das alles ja scheiße und mach da nur mehr mit, weil ich's ironisch finde, trotzdem mitzumachen. Jede einzelne meiner unterschiedlichen Meinungen ist viel geiler, als alle die der anderen zusammen. Oder doch nicht? Bin ich nicht viel hässlicher, dümmer, schlechter, talentloser, fetter, unfitter als die anderen? Muss man, wenn man um Tierrechte kämpft, nicht auch um das Überleben von Fragen durch weitere Fragen kämpfen, da aus der Sicht der Frage die Antwort ihren Tod bedeutet? Feganer, ich sag's Ihnen, neuer Trend. Aber ich dachte, ich will mich in Sachen Trends mir gegenüber als resistent betrachtet sehen? Oder doch nicht?

Peter Muffin alias Coolian Jnoth alias Julian Knoth ergründet auf seinem zweiten Longplayer den Teufelskreis der an sich selbst zweifelnden, sprunghaften Selbstdefinition in der sich ständig drehenden, hyperbeschleunigten Meinungs- und Positionierungspluralität des Menschen im einundzwanzigsten Jahrhundert der westlichen Welt. Und zerdenkt sich in 1000 weitere Ichs. Jedes davon bekommt eine Stimme, jedes ein Instrument in die Hand. Gemeinsam musizieren die Freunde und schrauben funkige Hip Hop Beats an wütende Schrei-Attacken, Lo-Fi Riffs an süffisant gesprochene Textzeilen und Synthie-Flächen an ironisches Gesinge. Schön auch, dass einer die rumliegende Kuhglocke in die Hand genommen hat.
Gemeinsam spannen sie den Bizeps der Schwarmintelligenz und präsentieren uns einige der klügsten Texte der deutschsprachigen Untergrund-Musik, die Dirk von Lowtzow gerne kurz vor dem Feierabend um 18.00 geschrieben hätte. "Was haben wir nicht gelacht?" wird in der kathartisch-hypnotisierenden siltangebenden Wiederholung dann schnell zu "Wir haben nicht gelacht." Und überhaupt brillieren die mannigfaltigen Knothschen Gedankenkinder mit intelligentem, weil effektivem Songwriting, das seine reduzierte Tanzbarkeit im genau richtigen Zeitpunkt mit exaltiertem Schulterzucken an die Wand fährt. In gerade mal sechs Stücken schafft Knoth mit seinen 1000 Selbsts das, wovon ein Großteil der Wannabe-Dadaisten des Cloud Rap träumt, aber nicht zu bewerkstelligen vermag: Er ist wahnsinnig – und relevant. Oder doch nicht? Jedenfalls eignet sich Knoth, geradezu altklug, das beständige Rauschen der Meinungen auf eigentümlichste Weise an und schafft damit ein Album, das inhaltlich wie musikalisch mit nur wenigen vergleichbar ist. Und damit eines der spannendsten Releases dieses Herbstes ist. Da lassen wir mit uns selbst nicht drüber diskutieren.
Ich und meine 1000 Freunde von Peter Muffin erscheint in Kooperation zwischen dem Knoth-eigenen Label Butzen Records und den Lit AF-Peeps von Treibender Teppich Records. Dass wir, wie immer, den legalen Erwerb empfehlen – am liebsten im Second Hand Records in Stuttgart – konnten Sie sicher bereits erraten. Darüberhinaus wollen wir der Idee für das Artwork der Platte samt dem daraus entspringendem Ausmalkurs unsere Hochachtung aussprechen. Produziert hat's Max Rieger, gemastert Ralv Milberg. Eine kleine Release-Tour schickt sich derweil an, Ihren übervollen Kalender noch voller zu machen. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Sun Worship hören.
Der Rahmen des Release-Reigens.
02.12. Stuttgart - Schachtel (Releaseparty)
15.12. Hamburg – Molotow
16.12. Berlin – Monarch