Hybrid des Hasses.
Ein weißes, selbstverliebtes Arschloch, das nur den Eliten in die Taschen spielt und nicht mal "Coverage" tippen kann, steht an der Spitze der sogenannten freien Welt. Was die Medien Tag für Tag aus sich raus kotzen, ist die reinste Irrfahrt in einem Dickicht aus Fakten, alternativen Fakten, Agenda-Setting, glatten Lügen und naturgemäßer Resignation auf Seiten der Rezipienten. Religiös motivierte Gewalt ist zu einem beständigen Begleiter im konstanten Hintergrundrauschen der Skandale geworden. Frauen werden alles andere als gleichberechtigt, nein, die Diskussion – und Meinungen alter, weißer Männer – scheint auf ein historisches Tief zu sinken. Die Ungleichbehandlung von Schwarzen in den USA ist teilweise schlimmer als zur Zeit der Apartheid in Südafrika. Vom Rassismus ganz zu schweigen. Leider ändern sich die verdammten Dinge der Welt wohl nie. Was sich jedoch ändert, ist die einzig logische Reaktion auf diesen ganzen Schwachsinn: Die Wut. Ihre jüngste und frischeste Ausprägung trägt den Symbolnamen Ho99o9.
Denn Ho99o9, stammend aus New Jersey und nun residierend im Brennpunkt Los Angeles, inhalieren den Ärger der Armenviertel Atlantas. Ziehen den Ingrimm aus dem Erbe der legendären Erfinder des Hardcores in Washington, D.C. Extrahieren die blanke Raserei aus den Hinterhöfen und Corners Comptons und Brooklyns. Filtrieren den Verdruss aus den rauen Beats der Betonkeller des Belgiens der 80er. Destillieren den rohen Zorn aus den ehemaligen Hallen des CBGBs. Und amalgamieren die Versatzstücke der musikalischen Opposition der Welt zu einem wilden, unkontrollierbaren Hybrid aus Hass. Zu einem 46 minütigen Tobsuchtsanfall. Zum unmissverständlichen Ausdruck der panamerikanischen Ablehnung der Unprivilegierten dieses, ihres, unseres beschissenen Systems.
So vermischt das mit einem Live-Schlagzeuger tourende Duo auf ihrem ersten Longplayer "United States of Horror" in Fünfzehn Tracks und zwei Interludes alles, was dagegen ist. Resignierten Trap mit enervierten Hardcore Punk-Samples. Lupenreinen Rap mit harten EBM-Beats. Idiosynkratischen Spoken Word mit dunklen Synthesizern. Nihilismus mit klarer politischer Stellungnahme. Das klingt manchmal schief. Das klingt immer direkt. Das klingt manchmal unausgegoren. Das klingt immer unpoliert. Doch all das muss so sein. Denn nur dann klingt es vor allem eines: authentisch.
Deswegen verzeiht man den beiden Frontern und Masterminds Eaddy und TheOGM so manch vermeintliche Plattitüde, nicht nur. Sie werden mit solch einer ehrlichen Aggression und Verzweiflung dargeboten, dass man sie nachfühlen kann. "I cannot see the future / The truth is in your eyes" heißt es in "Bleed War" oder "If you want peace, you better be ready for war" in "United States of Horror". Ausgedrückt mit zwischen Rage und Resignation changierenden Punk-Eruptionen und Synthesizer-Teppichen, wird ganz schnell klar: Diese beiden Seelen sind in den ärmsten Vierteln New Jerseys aufgewachsen und haben Polizeigewalt, strukturelle Machtlosigkeit, Massenunruhen, Verarmung und all ihre physischen und psychischen Folgen am eigenen Leib erfahren. Und den Horror, den diese Zeilen beschreiben als Realität erlebt.
Die rücksichtslose Destruktion all dessen, was man Menschen zumuten kann, hieven Eaddy und TheOGM auf alle Bühnen, die sie betreten. Und hinterlassen zwischen affektierten Verkleidungen, achtlosen Sprüngen, purem Lärm und vom Herzen kommenden Hilfeschreien nur verbrannte Erde. Propagieren einen Grassroots-Zugang zu Veränderung, politische Ermächtigung und Gleichberechtigung. Umhüllt von einem beklemmenden Kleid aus Dunkelheit, Manie und Hoffnungslosigkeit, bannen sie dieses Schauspiel der Seelenstörung nun auf Platte. Und erobern die Aufmerksamkeit ihrer Zeugen auch hier innert kürzester Zeit. Dem Hybrid aus Hass, man kann sich ihm nicht entziehen.
Denn er spiegelt den mannigfaltigen Wahnsinn wider, der sich im speziellen in den Vereinigten Staaten Alltag nennt. So wird "United States of Horror" zum musikalischen Vorreiter der amerikanischen Opposition. Die sich, analog zum Schwachsinn dieser Welt, der beständig neue, ungeahnte Ausmaße annimmt, zu seiner neuesten Evolutionsstufe entwickelt hat. Und den nur zu nahe liegenden Referenzen Bad Brains, Death Grips oder Body Count längst entwachsen ist. Denn nur so schafft sie es, relevant zu sein, in ihrer Hörerschaft etwas auszulösen – und zu bewegen. Eigenständiges Denken, Gleichberechtigung, freies Kunstschaffen, Individualismus und Gerechtigkeit zu propagieren und durchzusetzen. Wenn auch nur für 46 Minuten.
"United States of Horror" ist bei Caroline erschienen. Wir empfehlen den legalen Erwerb und hoffen inständig auf einen baldigen Besuch des Horrorkommandos in deutschen Landen. Im Übrigen sind wir nach wie vor der Meinung, Sie sollten mehr Human Abfall hören.