Fragmente

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Dekonstruktion des Ich.

Ein Nachruf auf War From A Harlots Mouth.

Im Jahreswechsel von 2014 auf 2015 wählte eine der buchstäblich progressivsten Deutschen Bands den Freitod. Doch war dieser Weg der einzig denkbare. Ein Nekrolog auf War From A Harlots Mouth.

Zerstörung ist wichtig. Ob Grenzen, Konventionen, Ängste, Denkmuster oder Handlungsweisen. Nur die Destruktion des Alten schafft Platz für das Neue. Für die Berliner War From A Harlots Mouth scheint diese Maxime leidenschaftliche Antriebskraft und selbstzersetzende Bürde gleichermaßen gewesen zu sein. Denn nach knapp neun-jährigem Bestehen verkündete die Band im Jahr 2014 jäh ihr Ende. Aber von vorne an.

Anno 2005 ging ein Raunen durch den Chor all jener, die sich der mathematischen Zerlegung der Musik verschrieben hatten. Eine Truppe, deren Name weder auszusprechen noch einzuordnen war, ließ einen musikalischen Virus vom Band, dem sich kein Genosse all jener Genres entziehen konnte, die sich der gepflegten Gehörgangs-Demontage widmeten. Rasend, keifend, geradezu unerhört direkt zerriss sich da ein junger Mann die Stimmbändchen. Nur um uns „Love ... is my everlasting war!“ entgegenzubrüllen. Das Darauffolgende war all das, mit denen stets versucht wird, Bands zu beschreiben, die keiner zu beschreiben vermag.

Hardcore war es nicht. Mathcore auch nicht. Jazz ebenso wenig. Kein Genre wurde diesem Lärm gerecht. Es war all das und viel mehr. Es war alles außer gewöhnlich. Es war gemein. Es war Krieg. Direkt aus dem Munde einer Dirne: War From A Harlots Mouth. „Falling Upstairs“ hieß das dazugehörige Tape, dessen Originalpressung heute noch heiß gehandelt wird. Will man den Erzählungen von damals Glauben schenken, lassen sich die ersten Shows ebenso kaum in Worte fassen. Denn was Alpha Simon Hawemann an der Gitarre und Omega Paul Seidel am Schlagzeug in Berlin zündeten, traf neben zahllosen Nerven vor allem den Nerv der Zeit: Gelebte Kompromisslosigkeit und spielerischer Irrwitz. Gewachsen in der Berliner Hardcore-Szene und verpackt in intellektuelle, sozialkritische Texte. Authentisiert vom durch MySpace damals aufkeimenden DIY-Trend der extremen Musik. Dem Untergrund dürstete nach mehr.

Die Kunst der Stunde.
„Transmetropolitan“ ließ nicht lange auf sich warten. Und ließ dem ekstatischen Sinnesrausch der vorhergehenden EP ein paar Verschnaufpausen angedeihen. Nun waren es Jazz-Interludes und Hip-Hop Beats, die den bereits reizüberfluteten Cortex endgültig gen Absurdistan führten. Der Erfolg ließ sich sehen. Die ersten internationalen Touren wurden absolviert und die Szene-Journaille schrieb sich die Fingerchen blau. Selbst in den Staaten blickte man zu diesen Deutschen, die so gar nicht Deutsch klangen. Doch zeitgleich war im Pfuhle genrenaher Künstler eine Unart entstanden: Die sinnentleerte Vermetallung der Spaßkultur. Ob nun neu intonierte Kinderlieder oder Nintendo-Sounds – an die Stelle von Inhalt war zusehends Belanglosigkeit getreten. Und WFAHM wollten da nicht mitspielen. 2008 stieß der später zum Aushängeschild avancierende Fronter Nico Webers zur Band und veröffentlichte mit WFAHM „In Shoals“. Die Erwartungen? Zerbarsten im Sturm.

Nein zum Nein.
Denn „In Shoals“ verpasste der anfänglichen, ungestümen Raserei ein organisches Fundament. Und bot dem Wahnsinn Platz, Breite, Tiefe um weiter zu gedeihen. Verzückte anfangs die Geschwindigkeit der Kompositionen die geneigten Massen, wilderte „In Shoals“ im rollend vernichtenden Mid-Tempo und hämmerte polyrhythmisch auf die Furche zwischen Absolutismus und Relativismus. Als wäre die dem Trend erteilte Absage noch nicht deutlich genug gewesen, vollendete eine atmende, lärmende Produktion das selbstreflektierte „Nein“ zum damals kursierenden Loudness War. 
„In Shoals“ war der Unangepasste im Raum voller Unangepasster. Die doppelte Verneinung der Negativität. Diese Platte kümmerte und kümmert sich einen feuchten Kehricht um die Adjektive, die War From A Harlots Mouth einst greifbar gemacht hatten. Genau deshalb beschreibt sie auch heute noch den wichtigsten Geniestreich dieser Berliner Freigeister. 

Auf der Suche nach dem Reiz.
Nico Webers, ein Urgestein der Hardcore-Szene Berlins und darüber hinaus, kündete mit seinem fiesen Organ Show für Show den Untergang an und ließ diese gottverdammten Berliner zur perfekt geölten Live-Maschine werden. Die ohne Pause nachlegten und anno 2010, logisch, MMX veröffentlichten. Diese 33 Minuten an dissonanter Hochgeschwindigkeitsraserei sind die handwerkliche und geistige Veredelung der WFAHMschen Inhalte. So flüssig hat sich bis dato keine Band der Genres Grindcore, Death Metal und Black Metal angenommen, sie in ihre Einzelteile heruntergebrochen und mit Jazz erneut zusammengesetzt. Mit Hang und Hand zum Perfektionismus ließ MMX das Monster WFAHM zu einem unüberwindbaren Ungeheuer anwachsen. Nachkalkulierbar im Über-Stück „Inferno III/IV“. Doch das Ungeheuer? Es musste sterben.

Denn was seinen Höhepunkt erreicht, muss je sein Ende finden. So kerkerte sich dieser brachiale Bastard, dieses schicksalsgebeutelte Scheusal nach anstrengenden Monaten des Tourens erneut in einem Studio ein und ließ den Hassbatzen „Voyeur“ auf seine treue Anhängerschaft los. Und ersetzte den zur Trademark gewordenen Jazz kurzerhand mit Streichern. War die Degustation des querliegenden MMX gerade mal zur Hälfte abgeschlossen, zerstörten die Berliner erneut seine Note, addierten Dissonanz und subtrahierten Breakdowns. Was übrig bleibt, ist ein klaustrophobischer Krach, der unter die Nägel kriecht. In den Ohren schmerzt. Den Hörer in seiner Ungemütlichkeit völlig isoliert, schließlich zerspaltet und in selbstvergessener Schizophrenie zurücklässt. Die Wände kommen näher. Und mit ihnen das Ende.

Denk mal.
Was schließlich den Ausschlag gab, lässt sich nur spekulieren. War es die oftmalige Live-Reduktion der Truppe auf in die Jahre gekommene Highlights wie „Uptown Girl“? Die Überdrüssigkeit der Kurzlebigkeit der (extremen) Musik? Die zunehmende Verkommerzialisierung jener Szene? 
Fakt ist, dass diese fünf Berliner zu jeder Sekunde ihres Bestehens ihre musikalische Integrität behielten. Und folglich den einzig denkbaren Weg wählten. So zerstörten sich War From A Harlots Mouth am Ende selbst. Und beendeten ihre Karriere am 31.12.2013 mit einer Show, die heute noch in den Ohren ihrer Besucher klingelt. Die Verewigung eines Denkmusters zum Denkmal. 

 

Alle Photos mit freundlicher Genehmigung des großartigen Photographen Jo Fischer.  Sein Photo-Diary "WFAHM - tales from a diary" sollten Sie hier erstehen. Es enthält Bild-Anekdoten aus drei Jahren Begleitung der Band und der Abschiedsshow. Wir legen es Ihnen wärmstens ans Herz. Genau, wie seinen Blog-Beitrag "Goodbye WFAHM".