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Atomic von Mogwai.

Mogwai und die Komplexität des Atomaren.

Mit „Atomic“ schickt das Glasgower Klangmonster Mogwai seinen dritten Soundtrack über den Äther. In Mark Cousins BBC Four Dokumentarfilm „Storyville - Atomic: Living In Dread and Promise“ umhüllen die düsteren Soundlandschaften Sequenzen des Schreckens: Archivmaterial der immer noch anhaltenden Atomkraft-Ära. Und mit ihr die Angst, die jene auslöst. Doch auch ohne Visualisierung funktioniert das Werk fabelhaft, welches überarbeitete Stücke aus besagtem Bildmarathon enthält.

Langsam und schwer bedecken dichte Klangteppiche orchestral düstere Dekaden der Destruktion. Dröhnende Gitarren, hymnische Drums und donnernde Synthies vertonen neben Streichern und Hörnern ferne Welten, glorreiche Galaxien, zerberstende Sterne, explodierende Einöden, bedrohliche Begebenheiten. Fukushima. So suggestiv, wie ein Soundtrack nur sein kann. Und dann ist da immer wieder diese schneidende Stille.

„Ether“ schält sich behutsam aus dem Nichts. Ein Silberstreif aus Streichern erklimmt den Horizont, während das Glockenspiel die Tautropfen im Morgenlicht glitzern lässt. Langsam bäumt sich der noch ferne Feuerball aus Saiten auf, bis die donnernden Drums und eklektischen Gitarren das Szenario dominieren – und wieder in Stille ersticken. Stille, aus der „SCRAM“ elektronisch dröhnend emporgleitet. Pocht. Hämmert. Pulsiert. Flirrt. Und seine Melodie aufschichtet wie giftige Zuckerwatte. In „Bitterness Centrifuge“ hingegen bahnen sich Beats und Bässe behände durch karge Landschaften.

„U-235“ entführt uns durch surrende Synthies in Science-Fiction-Szenarien der 80er Jahre. Übergangslos walzt sich das massive „Pripyat“ beißend seinen Weg durch unsere Adern, bis uns „Weak Force“ und „Little Boy“ im Diesseits verschnaufen lassen. Doch dann reißt die Königin der Instrumente dem kleinen Jungen das Heft aus der Hand. Die Violine negiert in „Are you a Dancer“ liebevoll die Aufforderung zum Tanz. Doch wer möchte in diesen Zeiten schon tanzen? „Fat Man“ straft die Fragendem mit der Absolution. Was das Glockenspiel einst begann, lässt das Piano erneut zu Staub werden. Ein Herzschlag, der verstummt.

Getragen von orchestralen Melodien und mit im Gegensatz zu den vorhergehenden „Rave Tapes“ opulent texturierten Post-Rock Einschüben, fassen Mogwai somit auf zehn Songs in Worte, was ungesagt bleibt. Konkretisieren die Abstraktion. Kartographieren, was kein Mensch je betreten wird. Meißeln, was weich ist. Verzahnen, was rund ist. Reißen nieder, was durch Fugen aus Zement der Dekonstruktion zusammengehalten wird. Gießen in Form, was nie erstarren wird. Verbinden, was unerreichbar ist. Verkleben, was sich abstößt. Harmonisieren, was dissonant erscheint. Demontieren, was noch gebaut werden muss. Töpfern, was bereits zerbarst. Trennen, was sich liebt. Beenden, was endlos ist. Stille.