Fragmente

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Work & Velocity von Crystal Soda Cream.

Crystal Soda Cream und der Tod.

Wien. Diese Hochburg der verkoksten Scheinheiligkeit. Der Intelligenz und der Idiotie. Des Drecks, der dir das Abendkleid versaut. Der Ablehnung des Alten, des Neuen und allem, was dazwischen liegt. Der Vergötterung all der schönen Dinge. Nach denen zu streben uns die Rückgrate bricht. Dessen Besudelung uns alle zu Vieh werden lässt. Hier wohnt der Untergang. Hier wohnt der Tod. Hier wohnen Crystal Soda Cream.

Das Trio Adamski, Forthuber und Ploier widmet der Ambivalenz dieser Stadt nun den Langspieler „Work & Velocity“. Nachdem im 2013er Vorgänger „Escape from Vienna“ noch die Flucht aus ebenjener vertont wurde, scheinen Crystal Soda Cream ihre Ingredienzien in den letzten Jahren mit Blut und Gebein aufgesogen und akzeptiert zu haben. Amalgamiert mit Songwriting-Grandeur und extravaganter Gleichgültigkeit tanzt, weint, beißt und fräst sich dieses Stück Musik zum Höhepunkt des Œuvres der Wiener. Und zu einem Lichtblick in der Veröffentlichungswut der Post Punk/New Wave-Truppen.

Eine Keller-Kaschemme. Roter Samt. Eine Disko-Kugel. Etwas Kotze. Ein Schrei. Düster und distinguiert, zurückhaltend und extravagant, elitär und isoliert kommentieren Crystal Soda Cream das Zeitgeschehen. Hüllen uns in dunkle Schleier, lassen uns den kategorischen Imperativ einer den Abgesang anstimmenden Gesellschaft spüren. Unter den Fingernägeln. In der Schnittwunde nach dem Rasieren. Im Loch im Zahn. Interpretieren 80er Synthies und Pluckerbass im minimalistischen Geiste des Bauhaus und transportieren die unterkühlte Vergangenheit in die athmosphärische Zukunft. Hallend, heimsuchend, geradezu hymnisch produziert von den Händen Jasmin Maria Rilkes zu angeschwärztem, vollgerotztem Pop.

Die Stimme wechselt vom Englischen ins Deutsche. Und der tote Curtis wird zum unsterblichen Falco. Crystal Soda Cream spielen ihre Macht dort am effektivsten aus, wo Forthubers Stimme in seiner Muttersprache über das Schlagzeug Adamskis skandiert. Das seine Geschwindigkeit in der Dialektik der Stoiker verankert. Während die Synthies aus ebenjener Hand jeden Vergleich scheuen und nur einem Zwecke folgen: Uns aus der Absteige zu befehligen. Die verrauchten, vergilbten Treppen hoch. Und das Licht des Anbruchs auf den Staub des Ruins an unserer dunklen Kleidung fallen lassen. Wir wandern und wundern uns.

Über die übermenschlichen Beton-Götzenbilder. Über den Hass. Über den Rotz. Über den Prunk. Über die Bohéme. Über das unglückliche, arbeitende Volk. Dessen Opium die Hoffnung auf das Opium ist. Doch wen kümmert all dieser Terz? Der Untergang wartet doch hinter der nächsten Ecke. In dir. In mir. In uns allen. Und im Desinteresse, ja in der gar freudigen Erwartung des Zerfalls. Dort liegt der Kern „Work & Velocitys“ begraben. Wo die Stuttgarter Schule auf Bauwut mit Zorn reagieren muss, erwartet das schöne Wien Gevatter Tod mit Champagner, Kragen und Luster. Treten Sie ein! Dieser Tanz, er soll der letzte sein. 

„Work & Velocity“ ist bei Totally Wired Records erschienen. Hier sollten Sie die Platte vorbestellen.

Foto von Hicran Ergen.