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Self-Titled von Weaves.

Auf der Suche nach dem perfekten Kontroversmaß.

Weaves, so manchem bekannt als der neue sagenumwobene Geheimtipp Torontos, sind keine Band mit Frauenstimme, die gefällig rockende Popmusik á la No Doubt produziert. Weaves sprechen aus der Seele: Komplex, intuitiv und gnadenlos authentisch. Und sie warten nun mit ihrem Debütalbum auf.

Die vier Kanadier machen Musik, die von Vielfalt lebt. So suggeriert bereits der Auftakt der Platte. "Tick" ist hektisch und verspielt, "Birds & Bees" scheppert mit unerwarteter Wucht auf uns zu und "Candy" verklemmt sich trotz Titel sperrig im Gehörgang. Während sich "Shithole" mit aufrührerischen Melodien und stolpernden Rhythmen zu freimütiger Lässigkeit hochschwingt. Besonderes Highlight ist hier der hängende Gitarrensound, gespielt von Morgan Waters, dem Sängerin Jasmyn Burke vor einiger Zeit in einer Bar begegnet ist, um anschließend diesen großartigen, weil immer unfertigen Sound zwischen Improvisation und klarer Definition darzubieten.

Manchmal kollabiert Burkes Organ beim Dehnen ihrer rauen Stimmbänder gar. Ein mitunter zwar veraltetes, aber dennoch passendes Trademark des künstlerisch wundervoll wertlosen Garagensounds der Weaves. Verschiedene Ausreizungsarten ihrer Stimme finden sich unter anderem im impulsiven "Two Oceans" dem bis obenhin mit kaskadierenden Riffs gefüllten „One More“ oder dem hinreißenden "Stress". Dabei kommt Burke ihren Idolen mit großen Namen wie Karen O, Patti Smith, Ari Up, Lydia Lunch oder Kim Gordon bewusst nahe.

Frontfrau Jasmyn Burke pocht dabei auf Texte, die sagen, was Frau ehrlich meint. In einem Interview findet sie entnervt, Frauen haben mehr zu erzählen, als davon, fröhlich oder auf Suche nach der großen Liebe zu sein. "Vielleicht handelt [das Leben] davon, rauszugehen und sich zu betrinken. Nicht auf eine märchenhafte Art und Weise, sondern eher beschissen und mit Pizza. Aber das geht in Ordnung. So kann es auch mal laufen." So markieren Weaves auf ihrem Debütalbum in knapp 38 Minuten einen klaren Standpunkt zwischen Genrefreiheit und gelebtem Individualismus inmitten popkultureller Einheitshymnen. 

Und kochen die Songs von Jasmyn Burke, Morgan Waters, Spencer Cole und Zach Bines am Ende zwar oft vor lauter Experimentierfreude beinahe über, führt das vermeintliche Zuviel an Geschredder durch hier und da wissentlich versteckte Hooks dennoch zum perfekten Kontroversmaß. Doch die eigentliche Stärke der Truppe schlingert in der Freimütigkeit der Obszönität, versteckt sich in der vermeintlichen Banalität, schwirrt um das selbstvergessene Schwofen Burkes.

Denn wo Weaves die leichte Schulter zeigen, versteckt sich darunter stets der Ballast des Universums. Der nach all den Katastrophen, der ständigen Kakophonie, all der Hilfslosigkeit, der Ungleichbehandlung, der Heilsversprechen und des Wahnsinns eben zum Pizza verdrücken und Tanzen führt. Ein gelungener Einstand.