Fragmente

View Original

Pop & Tod I + II von Die Heiterkeit.

Das Werk muss raus. Und die Idee muss sterben.

Religion, Liebe und natürlich der Tod. Es sind die großen Themen unseres Lebens, deren sich die Musikgruppe Die Heiterkeit auf ihrer jüngsten Platte annimmt. Gut zwei Jahre liegt die Veröffentlichung von "Monterey" mittlerweile zurück. Während ihr Debütalbum "Herz aus Gold" einen nicht weg zu diskutierenden Hype im Indie-Untergrund auslöste, wollte die zweite LP der sich im ständigen Line-Up Wechsel befindenden Gruppe nicht so recht zünden. Zu teilnahmslos soll die Musik gewirkt haben. Zu reserviert, zu selbstreferenziell. Obwohl wir diese Meinung kaum teilen können, stehen die Zähler nun erneut auf Null.

Denn mit der nun auch offiziell am Keyboard werkenden Sonja Deffner, Philipp Wulf (auch: Messer) am Schlagzeug, und Hanitra Wagner am Bass, die Ihnen von Oracles bekannt sein müsste, wurde aus dem Dreier nicht nur ein Vierer. Sondern mit Pop & Tod I+II steht, oder vielmehr thront, nun ein zu jeder Schandtat bereites Doppelalbum vor uns. Ein quer im Magen der popkulturell interessierten Musikfreunde liegendes Stück Musik. Ein in unseren Köpfen aus irgendeinem unerfindlichen Grund als Konzeptplatte abgespeicherter Longplayer. Recorded wurde er von der mittlerweile in Berlin lebenden Hamburger Truppe im Neuköllner Studio Moses Schneiders. Man hatte zwei Wochen für zwei Platten. Die erste beginnt sich nun endlich zu drehen. Und mit ihr kommt die Kälte.

Denn wo Genre-Kollegen ihr Œuvre mit Zorn, mit Traurigkeit, mit ungebremster Ausschüttung all ihrer Gefühlsduseleien anreichern, tönt Sommers tiefe, markante Stimme mit geradezu leidenschaftsloser Unterkühlheit. Und setzt vermeintlich emotionsschwangeren Topoi wie Betrug, dem Alleinsein, verflossener Liebe, oder gar dem Ende eine in ihrer Selbstbeherrschtheit unglaublich enervierende Zurückhaltung entgegen. Ein Widerspruch, der von einem im ersten Durchlauf geradezu religiös anmutenden Frauenchor unterstrichen wird. Ein sirenengleiches Stilmittel, das erst schockiert, dann einnimmt und nach mehrmaligem Hören schließlich vollkommen abhängig macht. 

Doch hier ist der Dialektik Ende noch lange nicht erreicht. Denn die Dichotomie zieht sich durch jede der 66 Minuten Spielzeit, wie die Marillenmarmelade durch eine perfekte Sachertorte. So werden auf „Weiße Elster“ lieblich verklärte Bilder der Romantik besungen, während der Übergabe des Selbst an die Verzweiflung auf „Dunkelheit wird Niemals“ ein paar unaufgeregte Zeilen gewidmet werden. So wird die Aussichtslosigkeit der Welt, erneut bestätigt von Idiotien wie Brexit oder inhumanen Geisteskrankheiten wie Isis, lapidar als „Schlechte Vibes im Universum“ kommentiert. Und so findet die Zerrissenheit, wie könnte es anders sein, auf „Im Zwiespalt“ in der Zeile „Distanz als Form von Nähe“ natürlich ihren eigenen Höhepunkt. Eine Idee setzt sich in unserem Kopf fest.

Doch eine Klaviersonate tönt aus den Boxen. „Wenn es soweit ist / Werden wir es wissen / Es kommt immer anders als gedacht“, besingt dieser unglaublich kraftvolle Frauenchor auf „The End“ das Ende des ersten Spannungsbogen dieses Opus Magnums. „Es wird in Ordnung sein“ singt, spricht, ja flüstert er uns fast ins Ohr. Und ist uns plötzlich so nah, dass er uns über alle Vorbehalte hinweg nun direkt ins Herzen spricht. Selten hat eine Band den Abgang so versöhnlich, so warm, so friedlich besungen. Die unfreiwillige Aufgabe in die Mächte anderer so feinfühlig in die Harmonie verklärt. Kein Wort ist hier zu viel, kein einziger Ton ist hier aufgesetzt. Die Tränen könnten einem kommen ob dieser Schönheit. Wartete in diesem Schlüsselmoment nicht die Klarsicht auf die Doppeldeutigkeit. 

Denn wo die aufmerksame Hörerschaft ob all der überlebensgroß wirkenden Leitmotive, die Pop & Tod I+II behandeln, noch auf der Suche nach dem zusammenführenden, einenden Gedanken ist, hat er hier längst seinen Mantel gezogen und steht beinahe frech offensichtlich vor ihr: Es gibt keinen Schlüssel, der diese Platte entriegelt. Es ist die Suche nach ihm, der den Weg in ihr Inneres freilegt. Es ist jener Kampf, den Die Heiterkeit selbst ausfechten mussten. Denn „The End“ beschreibt ebenso das Ende des Schaffensprozesses. Den man mittels Hören der Platte unbewusst durchlebt, stellvertretend durch die musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten dieses Quartetts. 

So wird klar, dass diese Platte der Tod des Konzepts, der Idee, des Schemas, der Urfassung des Musikstücks ist. Gestorben in zwanzig lupenreinen Pop-Songs. Denn der schaffende, formende, lebendige Prozess, der zur fertigen Kreation führt, opfert das dahinterstehende Konzept. Es kommt schließlich immer anders als gedacht. Was folglich übrig bleibt, ist der kreative Vorgang an sich. Der auf Pop & Tod I+II, so scheint es, Stella Sommer in seine Knechtschaft gezogen hat. Sie einen Song nach dem anderen aus dem Ärmel schütteln ließ. Manisch treibend, psychotisch schreibend. Doch reinigend. Denn das Werk muss raus. Und die Idee muss sterben. „Gott dieser Kammer, Jesus dieses Lochs, ich weiß nicht, woher es kommt, ich weiß nur, dass es sterben muss“, bezeichnet Sommer dieses Gefühl treffender als wir es je könnten.

Die Erkenntnis hat zur Folge, dass Pop & Tod I+II der musikalische Weg zum Ziel ist, das keine Sau mehr erreichen will – weil der Weg so verdammt geil ist. Und der Grund, warum jeder Song dieser Platte verteilt auf zwanzig Alben zwanzig verschiedener deutschsprachiger Bands jeder einzelnen von ihnen einen Chart-Hit bescheren würde. Sei es nun „Haben die Kids“, das aus dem Frauenchor nun plötzlich einen mit Markus Ganter, Max „Drangsal“ Gruber, Maurice Summer und mehr gespickten Männerchor macht. Oder das mit einer wunderbar leichtfüßigen Melodie aufwartende „Halt mich zurück“. Und der Grund, warum Pop & Tod I+II eines der größten Werke der jüngsten Musikgeschichte ist. Große Themen hin oder her. 

Pop & Tod I+II sind bei Buback Tonträger und Konzerte erschienen. Wir empfehlen Ihnen wärmstens, diese Platten baldigst Ihr Eigen nennen zu können. Im Übrigen sind wir der Meinung, dass Sie mehr Human Abfall hören sollten.