Fragmente

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Mankind Animal von Alex Stolze.

Die Interpretation des Jetzt.

Es ist ziemlich sicher, dass ein Mann mit dem Namen Mozart diese EP nicht gutheißen würde. Dass er seinen kleinen, mit einer Perücke besetzten Kopf, langsam und beständig hin und her schütteln würde, sobald er die darauf befindlichen Töne vernähme. 

Er würde vermutlich aufstampfen und mit heiserer Stimme rufen „Wo ist die Opulenz? Was soll das angelsächsische Gefasel im Hintergrund, der schleichende Kontrabass? Warum singt die Geige zusammen mit diesen einfältigen Trommelgestammel?“ Seine kleine Unterlippe würde beben, würde man ihm sagen, dass dies Musik genannt würde: „Das ist nichts für die Stube, nichts für die großen Säle. Damit ist nichts anzufangen!“

Vermutlich aber wäre sein heimliches Interesse an dieser abscheulichen Impertinenz so groß gewesen, dass er Nächte lang auf seinem Schemel gesessen und die Partituren studiert hätte. Wohl hätte er es nicht mehr vermocht zu schlafen oder zu essen. Er würde sie aber und abermals hören, seine verzweifelten Ohren würden es dennoch nicht schaffen, die Melodien einzuordnen. Die von Zeit und Alter verknöcherten Fußnägel hätten Furchen in das Holz unter seinem Schreibpult gekratzt. Seine Hände würden steif und müde bei dem unendlichen Hin-und Herwerfen der Seiten. Es hätte einen Mann mit dem Namen Mozart noch vor dem Fleckfieber umgebracht. Eine scheußliche Vorstellung.

Es fällt daher unter die nicht unglücklichen Fügungen, dass die EP „Mankind Animal“ von Alex Stolze erst in diesem Jahrhundert erschienen ist. Das Soloprojekt des ehemaligen Bodi Bill Mitglieds rückt die Violine ganz ins Rampenlicht. Sie hüllt Klavier und Bass in ein tangoartiges Gewand. Die Beats kommen plätschernd, zurückhaltend. Umgarnen die Basis und erzeugen Klang- und Gefühlswelten. Neo-Classic nennt er diesen Stil.

Wir sagen: Es ist mehr. "Mankind Animal" ist ein Zeitgenosse der Zukunft, der aus Altbewährtem zitiert. Vocals werden sparsam eingesetzt und erinnern in ihrer Zurückhaltung und Melancholie an jene von José Gonzalez. Rudimentäre Klangschnipsel bilden den fünf Titeln die Klammer. Sie schöpfen aus dem Gestern und verweisen auf das Morgen. Doch lassen sie den Hörer genau dadurch das Empfinden, was in unserer ständigen Plan- und Nostalgie-Wut verloren gegangen scheint: Das Jetzt.

Dieses jetzt zeitigt einen klaren Richtungswechsel des Interpreten in trübseligere, stillere Gefilde. Möglicherweise eine Vertonung des Nirgendwo zwischen Deutschland und Polen, wo sich des Künstlers Tonstudio befindet und dort zwischen der Stimmung eines Gaspar Noé Filmes und dem subtilen Ambient-Electro der Warterei auf die Ewigkeit residiert.

Keinen dieser Vergleiche und Verweise hätte ein Mann namens Mozart verstehen können. Doch vielleicht hätte sich sein dünnes, vom Irrsinn gezeichnetes Haar dennoch ganz sachte auf den Schultern auf- und abbewegt.

Die EP »Mankind Animal« erschien am 09.09. auf Vinyl und als Download über Nonostar Records. Auf Soundcloud dürfen Sie ein Ohr riskieren. Wir empfehlen den legalen Erwerb dieser Platte, sofern Sie in diesem oder im letzten Jahrhundert geboren wurden. Desweiteren empfehlen wir Ihnen, eine der folgender Lokalitäten zur genannten Zeit aufzusuchen:

 16.09.2016 Berlin -  Film Festival - Haus Schwarzenberg

11.10.2016 Dortmund -  Domicil w/ Federico Albanese

12.10.2016 Wiesbaden - Walhalla w/ Federico Albanese

13.10.2016 Leipzig -  UT Connewitz w/ Federico Albanese

15.10.2016 Hannover - Lister Turm w/ Federico Albanese

16.10.2016Düsseldorf - Christuskirche w/ Federico Albanese