Fragmente

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Senseless Presence von Tristan Rêverb.

Der Sinn und das Sein.

Der Mensch. Was ist dieses Wunderwerk organischer Verbindungen, deren Ursprung niemand zu erklären vermag? Ist er nur ein Vorhang zwischen Leben und Erkenntnis? Ist er somit ein Hindernis vor der Wahrheit und als Krankheit zu betrachten? Ein Zuviel an Zellteilung, ein fieberhaftes Anschwellen anorganischer Konstruktionen zum bösartigen Gewuchs, das seine eigene Lebenswelt nur als Diener seiner Selbst begreift, ihr beständig schadet und Gefahr läuft, sie zu zerstören?

Tristan Rêverb, gestartet als Ein-Mann-Projekt und mittlerweile zur sechsköpfigen Medusa musikalischer Klangwelten angewachsen, scheinen sich jener und ähnlicher Fragen gewahr und suchen sie auf "Senseless Presence" ihrem Bann, ihrem Wirken zu entziehen. Fünf Tage hat sich die Stuttgarter Musikgruppe mit, wer sollte es sonst sein, Ralv Milberg eingeschlossen, um ihr Debüt-Album in Form zu gießen. Fünf Tage in einer luftleeren, analog atmenden Sphäre, wo die Zeit mal schnell, mal langsam vergeht und sich somit ihrem Zwecke der Einteilung, Organisation, Berechenbarkeit beraubt.

Eine Sphäre, die mittels klaustrophobischem Krächzen einer Trompete über eine repetitierende Echo-Maschine ein Bezeichnungs-Vakuum erzeugt. Aus dessen reichhaltiger Fülle an Instrumenten und Stimmungen eine Stimme sich erhebt, die obgleich ihrer Ferne vertrauter, ja versöhnlicher nicht klingen könnte. Sind die Vorteile des Menschen nicht dazu da, das soziale Gefüge – uns alle hier –weiterzubringen? Die Mängel der Menschheit mittels der Wahrheit der Wissenschaft allesamt auszumerzen und den Fortschritt in eine bessere Welt zu ermöglichen? Die Gitarre, der Bass, das Schlagzeug, sie lassen Wolken in die Sphäre einziehen, verstellen die Sicht. Gebieten den Elementen, sich zu vereinigen, ihre Kräfte zu zeigen und gleichsam zu zähmen. Die Mauern aus Stein sich selbst zu durchbrechen, die See ihre Kraft zu bändigen. Das Feuer sich seiner Hitze, die Luft sich ihrer Schwerelosigkeit zu entledigen. Denn gibt es da nicht die Liebe zwischen Menschen, die stärker ist als jede Macht? Die Komposition hält inne. Wie haben wir es nun? Muss der Mensch nun überwunden werden? Oder seine Fehler?

Am Ende der Platte wie der Frage wird die Präsenz, die schiere Existenz ebenjener sinnlos. Denn wo das Denken verebbt, ein Ziel findet oder in der Unklarheit verblasst, wartet das Sein. Egal, welche Erkenntnisse vielleicht hermeneutischer obgleich definitiv vergänglicher Art jene Gedankenexperimente zu Tage gefördert haben mögen. Wozu Antworten auf etwas finden, dessen Lebenszeit in dieser Sekunde abläuft? Ist die Bestimmung dessen, was der Zweck dieses Auszugs, dieses Pixels des Großen und Ganzen, das wir unser Leben nennen, denn sein soll, nicht ähnlich obsolet wie die ständige Suche nach Labels, Genres, Schubladen?

Wieso denn also nicht das Sinnieren sein lassen und stattdessen das Sein zulassen? Schließlich bildet die vielschichtige Komplexität von "Senseless Presence" die beste Möglichkeit für einen Moment der Simplizität, der Freiheit von der Abhängigkeit der Aktivität des Hirnes. Denn die zwischen launischer Lautstärke und idiosynkratischem Murmeln wechselnden, zwischen meditierender Melancholie und freier Frömmigkeit sich erstreckenden Sound-Knüpfereien werfen gelernte Strukturen über Bord. Bedienen sich diversester Genres, die wir für Sie als Avantgarde, Folk, Jazz und Krautrock bezeichnen, woraufhin wir jedoch sofort auf die Nutzlosigkeit jener Labels hinweisen wollen. Erlaubt mit unaufgeregter Bestimmtheit und selbstbewusster Ruhe erst das Denken, dann das Beiseitelegen jener Gespinste und schließlich das pure Dasein im Sein. Ein Sein, das nach Wiederholung schreit. Tristan Rêverbs Debüt wird somit namentlich zu einem Erlebnis, das weitaus mehr Präsenz in der Musiklandschaft verdient.

"Senseless Presence" von Tristan Rêverb ist bei Treibender Teppich Records erschienen. Wir empfehlen den legalen Erwerb, sowie einen Stopp und das Wühlen im Second Hand Records. Denn jedes Cover dieser LP ist ein Einzelstück und strikt limitiert. Im Übrigen sind wir der Meinung, sie sollten mehr Human Abfall hören.