Fragmente

View Original

Zeitverschiebung.

Tropical Drums of Deutschland von Jan Schulte.

Eine Compilation wirft stets zwei diachronische, also die Zeit betreffende, Fragen auf. Die eine Frage zielt auf die Entstehung der zusammengestellten Musikstücke ‒ die andere auf ihre Zusammenstellung. Was ist das für Musik, die wir auf Jan Schultes Compilation “Tropical Drums of Deutschland” hören? Und sagt uns diese Sammlung etwas über unsere Zeit?

Der Großteil der Stücke stammt aus den 1980er Jahren. Ein Jahrzehnt, das in der deutschen Popmusik wohl vornehmlich mit der wachsenden Konformität der Neuen Deutschen Welle assoziiert wird ‒ und nicht mit musikalischer Experimentierfreude. Wie lebendig diese Zeit nach Krautrock jedoch war, zeigen schon seit Jahren die Compilations “Deutsche Elektronische Musik” von Soul Jazz Records. Eine Mission, der sich nun auch Jan Schulte anschließt.

Allerdings sind auf seiner Compilation die elektronischen Instrumente auf ein Minimum reduziert; dienen als Ambient-Klangbett, das höchstens den Trancezustand befördert, ansonsten aber viel Platz lässt für die titelgebenden tropischen Schlaginstrumente. Von Bongo über Kalimba bis Tabla haben die vertretenen Bands zahlreiche exotische Percussions eingesetzt, ihre esoterische Pastiche aber konsequent mit Windspielen, Harfen oder Flöten angereichert. So bietet der Sound aller Künstler, von Argile über Om Buschman bis Trimopen, ein überraschend homogenes Klangbild ‒ was sicherlich nicht zuletzt dem Talent von Schulte beim Zusammenstellen der Platte zu verdanken ist.

Photo von Phil Struck.

Ich werde es mir ersparen, jede Band en Detail vorzustellen, das hat schon Bandcamp hervorragend gemacht. Hervorheben möchte ich aber den unverortbaren Sound der Produktionen, die sich aus diversen Natur- (Dschungel, Savanne) und Kultureinflüssen (Indien, Ostafrika, die Anden) speisen und es so ‒ dank eines fantasievollen Eklektizismus ‒ schaffen, mehr zu sein als bloße Kopien ihrer exotischen Vorbilder. Wir erleben hier das klassische “Everything Goes” der Postmoderne in Aktion, durch das Esoterik aus der hessischen Provinz plötzlich mit dem Dancefloor kompatibel wird.

Und irgendwie scheint es der perfekte Zeitpunkt zu sein, um zu zeigen, wie aufregend, lebendig und unterhaltsam Musik sein kann, die sich ganz ihren diversen Einflüssen hingibt. Klar, diese Veröffentlichung ist im Grunde einfach nur ein logischer Schritt in Schultes Karriere, mit dem er sein Talent als Crate-Digger auch jenseits seiner Tätigkeit als DJ unter Beweis stellen kann. Doch man kann sie auch anders interpretieren in einer Zeit, in der rechts wie links des politischen Spektrums das Phantasma von kultureller Reinheit umgeht. Rechts ist das ja keine Überraschung, von dort aus hat die Forderung nach einer “Deutschen Leitkultur” schon fast die Mitte der Gesellschaft erreicht. Aber auch von links werden in letzter Zeit mit dem Vorwurf kultureller Appropriation immer wieder Stimmen laut, die eine fixierte und reine Form von Kultur wenn nicht direkt fordern, so doch indirekt behaupten. Denn wer beispielsweise Weißen vorwirft, dass sie Dreadlocks tragen, impliziert, dass bestimmte Attribute und kulturelle Artefakte lediglich einzelnen, fest umrissenen Gruppen zustehen. Welche politischen Gefahren darin stecken können, hat Jens Kastner für den Deutschlandfunk präzise beschrieben. Dabei hebt er mit einem Blick zurück in die 1980er Jahre, zu Stuart Hall und anderen Vertretern der Cultural Studies, die Bedeutung kultureller Durchmischung hervor:

“Im Zuge dieser Sensibilisierung für Differenzen wurde auch stark auf die politisch-emanzipatorischen Effekte von Vermischung, Mix und Hybridität gesetzt und es erschien als zentrale Errungenschaft, kollektive Identität wie etwa Frau- oder Schwarzsein nicht mehr als fixe und ahistorische Gegebenheit zu betrachten.”

Diese postmodernen Ideen haben uns also in gewissem Sinne frei gemacht, oder zumindest den Raum der Möglichkeiten erweitert. Und wer kulturelle Reinheit fordert, setzt diese Errungenschaften aufs Spiel. Wir leben wahrscheinlich schon nach der Postmoderne ‒ letzten Endes ist der Begriff auch nicht viel mehr als eine Festschreibung. Doch mit der Absage an hybride Formen wie Remix, Collage oder Pastiche verlieren wir grundlegende Stilmittel unserer kulturellen Produktion. Und zu welchen hervorragenden Ergebnissen diese Führen, zeigt uns nicht zuletzt diese Compilation.

Tropical Drums of Deutschland von Jan Schulte erscheint bei Music For Dreams. Wir empfehlen den legalen Erwerb.