Fragmente

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Im dunklen Winkel.

Das selbstbetitelte Debüt von Hope in der Kritik.

Können wir unsere eigene Geschichte schreiben? Sind wir nur stille Protagonisten? Oder gar die Antagonisten, die es zu bekämpfen gilt – von uns selbst? Oder belügen wir uns mit dem, was wir von uns preisgeben, was wir über uns erzählen nur selbst, weil die Lüge ja so bequem ist? Hope, eine Band aus Berlin, die man ohne dieses Hintergrundwissen jedoch auf keinen Fall dort verorten würde, nähern sich auf ihrem selbstbetitelten Debüt diesen Fragen mit ergreifend  ehrlichen Musikstücken.

Auf 34 Spielminuten kondensiert das Quartett die Landschaften des Lebens in acht dunkel schimmernden Song-Stalagmiten. Sie zerschneiden den Alltag mal mit ferner Düsterkeit, mal mit unmittelbarer Nähe. Sie lassen Geister im Gehör aufsteigen, wo sie nicht zu erklären, aber zu spüren sind. Sie lassen die Gebilde im Lärm aufbegehren, wo die Natur des Songs es gebietet. Sie wuchten Trip Hop-Versatzstücke, schauerliche Drones und unmenschliche Gitarren aufeinander. Bilden so die Topologie der eigenen Daseinsbestimmung.

Denn die von Staffa, Knorz und Hönes mit beeindruckendem Gespür für Feinheiten geschaffenen Flächen füllt die Stimme von Christine Börsch-Supan mit Skizzen des Selbst. Ihre imposante Palette deckt dabei alle Gefühlsvariationen des Inneren ab. Mal fleht sie zerbrechend, mal diktiert sie kühl, streng und kraftvoll. Vereinnahmt die Flächen erst, nur um sie dann mittels Phrasierungen zu zerkratzen, zu verwunden, zu beschädigen – wie es scheint, um ihrer eigenen Verletztheit Ausdruck zu verleihen. Ihr Ton, ihre spitzfindige Kraft und vor allem ihre idiosynkratisch scharfe Betonung setzt sich nicht nur sofort im Kopf fest, sondern wird zum unverwechselbaren Merkmal der Gruppe.

Gemeinsam mögen die vier so von Kritikern vielleicht mit Portishead oder gar Björk verglichen werden. Doch dies wäre vermessen. Denn Hope kehren den Blick nach innen. Machen sich in diesen 34 dichten Spieminuten frei von Vergleichen, von Genres, von Begriffen, die einordnen lassen. Kreisen um den Punkt ihrer eigenen Geschichte, die sie zu bestimmen versuchen. Denn keine Geschichte lässt sich mit einer anderen vergleichen, nach Schema F auserzählen. Nein, Hope haben begriffen, dass das Selbstbelügung wäre. Es gibt kein Patentrezept. Es gibt nur das Ich, das Jetzt und die Möglichkeit, die diesem Jetzt innewohnt. Dieser Möglichkeit nähert sich das Quartett und schürft mittels mannigfaltigen musikalischen Ausprägungen aus dem Dickicht die Klarheit der Katharsis.

Das selbstbetitelte Debüt von Hope wird somit zum nackten, harten, ehrlichen Blick auf die Geschichte bisher. Der Moment, wo die Vergangenheit endet, die Zukunft aber noch nicht begonnen hat. Es ist die wabernde, flehende, zerbrechliche, dunkle Kammer des Jetzt. In der erst mal mit dem Selbst aufgeräumt werden muss, um sich der Möglichkeit der eigenen Geschichtsschreibung gewahr zu werden. Deswegen hüllt sich die Band vollkommen in Schwarz: Weil ihr Inneres sich dort befindet. Genau dort, im Dunkel, reift das Debüt zu einer der dringlichsten musikalischen Vertonungen der Festigung der eigenen Kraft, der selbstbewussten Entscheidung zur Mittäterschaft am Leben. Zum trotzigen, stolzen Griff zum Stift, der die nächsten Zeilen an die Geschichte dranhängt. Denn am Ende dieser dunklen Reise triumphiert dann doch die Hoffnung, die jeder Note innewohnt. Man muss sie im Dunkel nur entdecken. "Hope", mit dem treffendsten Bandnamen überhaupt, reanimieren sie auf ihrem Debüt mit acht wirklich starken Stücken.

Das Debüt von Hope erscheint bei Haldern Pop Recordings. Wir empfehlen den legalen Erwerb. Produziert wurde es von Olaf Opal, unter anderem von Naked Lunch und Galore. Zur Veröffentlichung werden Hope noch diverse Shows in Deutschland spielen – auch im Vorprogramm der grandiosen Algiers. Wir empfehlen das Beiwohnen wärmstens. Ist ja schließlich auch kalt auf den Straßen geworden. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Sun Worship hören. Die haben sich nämlich gar nicht wirklich aufgelöst.