Fragmente

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Die Verdammten von Krank.

Die Wucht der Partikularität.

Der schwarze Kaffee am Morgen. Die Nachrichten in der Glotze, die nur Politiker zeigen, die so degeneriert sind, dass man an den Niedergang des Mittelalters zurückerinnert wird. Das Scrollen am Smartphone zwischen Verschwörungstheorien, neuen Asos-Jeans und Isis-Köpfungsvideos. Die Resignation. Dann der Regen auf der Straße. Die Blicke auf den Boden. Der Kauf Dich Glücklich Laden. Der Selfie-Stick und die sauteure Latte-Macchiato-Plörre. Die Bierdosen von gestern Nacht. Der Penner, der um Geld bettelt. Die Baustellen, die Baustellen, die Baustellen. Das Ansteigen der Wut. 

Der Stau auf der Straße. Der Korruptionsskandal auf den Tageszeitungen, die auf dem Gehsteig liegen. Der überfüllte Bahnsteig. Die Bahn, die zu spät kommt. Die Bahn, in die eine Person weniger einsteigt. Das Wissen um die Unumgänglichkeit. Dann ein Seiteneingang. Die Treppen in den Keller. Der Muff der Jahrhunderte. Der Lärm, der immer näher kommt. "Die Stadt schläft nicht, sie ist tot." Die eigentümlich hohe Stimme, mit der jemand in den Raum schreit. Die Hamburger Schnauze. Die Rasanz, mit der vier Menschen zappeln können. Die aggressiven Gitarren. Die explosiven Songs, die an Razzia erinnern. Der 4/4-Takt. Die rollenden Bassläufe. Der ehrliche Sound. Das unverblümte Ansprechen der Scheiße, die uns täglich umgibt. Die Leute, die da vorn schwitzen. Die Leute, die mit der Band tanzen. Die Leute, die mit ihnen weinen. Das Banner, auf dem "KRANK" steht. Dieses unverwechselbare Gefühl.

Photo von Tim Bruening.

Zugegeben, das ist keineswegs originell. "Die Verdammten", die nach dem zu Recht viel beachteten ersten Longplayer "Ins Verderben" zweite Platte der Hamburger von Krank erfindet die ruppige Verquickung von Punk der alten Hamburger Schule mit den Anfängen des Hardcore keinesfalls neu. Jedoch ist "Die Verdammten", so viel sei hier bereits klargestellt, die handverlesene Edeltraube des Punk in bald noch zu prämierender Verpackung. Eine neues Kapitel im Lehrbuch Deutschpunk.

Aber sogar diese Behauptung verblasst zum Nebendarsteller unter der grandiosen Leistung der Titelrolle. Denn "Die Verdammten" ist allen voran notwendig. Wichtig in ihrer Klarheit, um uns daran zu erinnern, dass kein Akt des Widerstands zu klein ist. Erforderlich in ihrer Einfachheit immer da, wo die Wogen des herrschenden Systems übermenschlich groß und unüberwindbar wirken. Unabdingbar energisch dort, wo unter der schieren Absurdität der politischen Realität die Flucht in den Hedonismus angetreten wird. 

Denn frei nach Foucault gibt es, gerade in unserer zunehmend fragmentierten und komplexen westlichen Gesellschaft, kaum mehr diesen einen Moment der Opposition. Den großen Marsch gegen die Machthaber. Die Revolte, die den Oberen ihre Häupter kostet. Das Niederbrennen der Paläste. Vielmehr ist der Widerstand, heute mehr denn je zuvor, dort am wirkungsvollsten, wo er als einzelner Kaugummi am goldenen Parkett klebt. Immer und immer wieder. Denn ein großer Feind kann leicht ausgemacht und zerschlagen werden. Doch Millionen von vehement vertretenen Partikularinteressen kann nur schwerlich Einhalt geboten werden. So ist es die Summe an einzelnen Reibungen, die ihre wahre Wucht gegen das System in strategischer Abstimmung entfalten. Ob impulsiv, spontan, wild, einsam oder kompromissbereit. Ob als Unterstützung des Bio-Ladens um die Ecke oder als gewaltfreie Demonstration gegen Atomtransporte.

Krank machen auf "Die Verdammten" in zwölf lupenreinen Stücken, nein, Eruptionen vor, wie kraftvoll ein Akt der Renitenz sein kann – egal wie klein. Jeder einzelne Ausbruch reduziert auf das Allernötigste. Frei von jeglichem musikalischen oder inhaltlichen Ballast. Keine Effekte, keine Längen, kein Zweifel. Zwölf zügellose Impulse des Aufstands. Eingefangen mit trockenster Intensität von Hauke Albrecht, unter der Mitwirkung eines gewissen Tobert Knopp, der einigen von Ihnen von Turbostaat bekannt sein dürfte. "Die Verdammten" ist ein kompromisslos komponierter, bitter nötiger Wachruf im Jahr 2017. Und damit eine der Punk-Platten, die im Ohr bleibt und bleiben muss, damit wir uns unserer Macht stets gewahr sind. Denn wir müssen nur ungemütlich bleiben.

"Die Verdammten" von Krank erscheint bei This Charming Man Records. Wir empfehlen den legalen Erwerb. Sowie ein gepflegtes Stelldichein mit dem Katalog jenes Labels. Weiterhin möchten wir Ihnen die Schauen zur Veröffentlichung von "Die Verdammten" an die toten Herzen legen. Ach, und wie immer sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Human Abfall hören.