Fragmente

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Wie Reden stirbt.

Kritik der modernen Kommunikation, oder: Tipps für massiven YouTube-Erfolg.

137.231 Abonnenten können lügen. Äh, nicht. Oder wie war das? Wie jeder Mensch tun wir uns mit Kommunikation manchmal etwas schwer. Deswegen gehören wir zu den regelmäßigen, lüsternd-geifernden Konsumenten der nahezu wöchentlich erscheinenden Videos des YouTube-Kanals „RedeFabrik – Kommunikation & Charisma“. Auf den ersten Blick zerpflückt da ein junger Bursche namens Benedikt Held (Unsere Rechtsabteilung prüft gerade, ob es sich dabei um einen Künstlernamen handelt, Anm. d. gerade nicht daran arbeitenden Rechtsabteilung) die Rhetorik bekannter Personen des öffentlichen und inszenierten Lebens, respektive des als öffentlich inszenierten Lebens selbiger und gibt Tipps für „massiven kommunikativen Erfolg.“ Da wir die Dinge aber meist einer näheren Betrachtung unterziehen, haben wir zwischen den Frames noch etwas entdeckt, das man als verbesserungswürdig bezeichnen könnte. Deswegen liefern wir Ihnen, lieber Herr Held und Ihnen, liebe Abonennt-, äh, LeserInnen exklusive Kommunikations Tipps für massiven YouTube-Erfolg.

Jedoch wollen wir erst der gängigen Kommunikations-Methodik folgen, die Ihnen bestimmt aus diversen zu nichts führenden Meetings bekannt ist – und beginnen mit Lob. Denn Herr Held macht bereits einiges richtig. Zunächst brennt der junge Mann förmlich für sein Thema. Sein Altruismus, uns mit unseren täglichen kommunikativen Problemen zu helfen, geht sogar so weit, dass er uns für einen kleinen monatlichen Obolus exklusive Tipps direkt ins E-Mail Postfach zukommen lässt. Eine wahre Wonne für unsere rhetorische Stümperei. Weiters zeigen die Vorschau-Bildchen seiner Videos regelmäßig die größten politischen Demagogen unserer Zeit. Die Titel seiner Clips versprechen die völlige Kommunikations-Boss-Transformation, radikale Einblicke in die Taktik der größten Schalter und Walter der really big und really powerful buttons unserer Welt, oder wie wir es nach Jahren der schulterzuckenden Antipathie uns gegenüber endlich schaffen, sympathisch und charismatisch zu wirken (ohne es tatsächlich sein zu müssen [das nervt doch auch]). Da hat man doch einfach richtig Bock, draufzuklicken! Die Inhalte der auf den Klick folgenden Videos sind dann auch erstmal zweitrangig, schließlich geht’s dem Nachwuchs-Cicero primär um die Verpackung. Doch genau das bringt uns schon zu unserem ersten Exklusiv-Tipp.

I. Reden ohne Inhalt ist wie Bier ohne Alkohol.

Die heilige Dreifaltigkeit der kommunikationstheoretischen Drögheit  – Habermas, Luhmann und Watzlawick – mag zwar zu viel empfundenem Unrecht auf Seiten der Studenten zahlloser „Was mit Medien“-Studiengängen geführt haben, doch sie alle hatten mit einem Recht: Kommunikation ist zunächst immer Informationsvermittlung. Emotionen, sozialer Kontext und hierarchische Beziehungen kommen erst danach. Beraubt man jegliche Kommunikation ihrer inhaltlichen Basis und achtet nur noch auf rhetorischen Kniffe, mit denen man andere an der Nase herumführen kann, dann werden aus vernunftbegabten Menschen mit rationalem und emotionaleam Potential ganz schnell hohle Marionetten oder Bauchrednerfiguren. Die Hampelmänner tanzen dann nur noch nach den Fäden der wirklich mächtigen und haben konstant den Arsch offen. Vielleicht, aber das ist nur eine Vermutung, ist das auch der Grund, warum kein Mensch Bock auf die meisten von Ihnen analysierten Politiker hat? Auf jeden Fall ist unser Tipp: Rhetorik-Analyse ist supi, aber vielleicht widmen Sie auch den Inhalten hin und wieder ein paar Absätze. So lässt sich auch der ein oder andere Fauxpas vermeiden. Zum Beispiel dass man die Rhetorik der Gewinner der Nationalratswahl in Österreich in den höchsten Tönen lobt. Die Menschen in Wien jedoch dann zu Zehntausenden auf die Straßen strömen, um gegen die – ja – Inhalte ihrer Politik zu demonstrieren.

II. Fakt fickt Fiktion.

Einfach mal ein Wochenende mit einer Serie wegbingen und auf Kommunikation mit echten Menschen komplett verzichten. Total geil, feiern wir auch. (Wenn da nur nicht der Mann mit der Pizza an der Türe wäre, aber das ist ein anderes Thema.) Dass Sie, lieber Herr Held, das auch stark finden, ehrt sie, macht sie anfassbar, fast menschlich. Doch wenn die Folge davon ist, dass sie die Rhetorik von Seriencharakteren nach Parametern des echten Lebens analyiseren, dann haben wir damit ein kleines Problemchen, das sich nicht so einfach überspringen lässt, wie das Intro bei Netflix. Denn nicht nur lieben wir Charaktere wie Frank Underwood ja genau dafür, dass sie Dinge machen, die sich von uns niemand (zu)trauen würde. Sondern jegliche Analyse ist schlicht hinfällig, denn die Protagonisten werden natürlich auch mit den haarsträubendsten Mitteln ihren Willen durchbringen, alle manipulieren und am Ende als die großen Helden dastehen. Deswegen sind diese Serien – mögen sie auch noch so gut produziert sein – ja eben Fiktion und nicht Fakt. Fakt hingegen ist, dass man mit den Mitteln eines Underwoods beim Mittagessen mit den Büro-Kollegen im Restaurant zum Hackstück in Sprockhövel eher auf die (Hack-)Fresse fallen wird, als sich zum Präsidenten hochzumanipulieren. Unabhängig davon ist gerade aus einer Serie wie House of Cards auch direkt abzulesen, was die Folge der konstanten professionellen rhetorischen Manipulation auf höchster politischer Ebene zur Machterhaltung ist: Morde, Intrigen, Kriege. Total ungeil, feiern wir gar nicht.

III. Wer einmal lügt ...

„Wir werden ständig manipuliert und wir manipulieren ständig. Das ist ein ganz normaler Prozess.“

Lieber Herr Held, wir denken nochmal an den Lieferanten, der Ihnen die Pizza bringt, wenn Sie gerade im 48-Stunden House of Cards-Marathon festhängen. Stellen Sie sich vor, der Gute macht Ihnen eine zweite Pizza zum halben Preis schmackhaft – nein, nur für Sie und nur jetzt sogar nur um ein Drittel des Preises! Sie lassen sich das zweite belegte Fladenbrot aufschwatzen, werfen die Tür zu und sich auf die Couch und merken: Da sind ja Artischocken drauf! Diese Gotteslästerlichkeit an der heiligen Ikone der Pizza geht wirklich niemandem gut runter. Aber das ist nicht alles. Denn die italienische Resteverwertung ist kalt und so schmierig wie die Verkaufsmethoden des Lieferanten. Sagen wir so: Das geht Ihnen nicht nur nicht gut rein, sie kommt auch auf den unüblichsten Wegen wieder raus. Schmierig bleibt die Sache auf jeden Fall. Ist das wirklich „normal“ und wenn ja – wollen wir dieses „normal“ in allen Bereichen unseres Lebens? Sie können sich jetzt natürlich den Plan machen, es dem Pizza-Lieferanten heimzuzahlen und wiederum ihn übers Ohr zu hauen. Angenommen, Sie gründen eine Online-Plattform, die ihm massivsten kommunikativen Erfolg verspricht, in Wirklichkeit aber nur die Erkenntnisse aus anderen Büchern zusammenklaubt und neu verpackt. Altes Muster der Manipulations-Meister. Geil, dem werden Sie’s zeigen. Das Problem an der Sache? Als Konsumenten, die Dank ubiquitärer Datenkraken jeden Schritt, jede Vorliebe und jeden Fetisch auf diversesten Online-Plattformen liegen lassen und für Unternehmen erstehbar machen, werden wir von genau jenen ohnehin zu jeder Sekunde manipuliert. Sogar so weit, dass viele von uns ihren Instagram-Kanal quasi präventiv direkt in einen Werbekanal verwandeln. Im Grunde sind wir alle nur noch laufende Datensätze. Wollen wir da wirklich, dass uns sogar der weirde Nachbar, der nie aus seiner Wohnung geht, bei dem wir aber mal wieder schwitzend und schluckend nach etwas Salz für unseren traurigsten aller Teller Nudeln nachfragen, während wir uns möglichst unmerklich nach Messern in seiner Wohngung umsehen, über’s Ohr haut und uns zu allem Überdruss noch ein paar Chiasamen (was zum?) aufschwatzt? Wir denken nicht. Unser Tipp – nur für Sie heute und hier und genau jetzt zum halben Preis: Zeigen Sie den ganz sicher bald im Chronik-Teil einer Tageszeitung erscheinenden Nachbarn und Pizza-Lieferanten da draußen, wie sie und wir alle ständig manipuliert werden. Was wir gemeinsam dagegen tun können. Und dass das ganz sicher kein „normaler“ Zustand ist.

IV. Verharmlosung ist der erste Schritt zur Verherrlichung.

Lieber Benedikt – wir sind ja mittlerweile Buddies – lassen wir uns mal kurz auf ein Gedankenspiel ein. Stell dir vor, ein Mann, der die Manipulation der Massen beherrscht wie kein Anderer, hat keinen Bock darauf, dass ein junger und cleverer Kerl wie du seine Manipulations-Methoden zerpflückt. Du bist ihm ein bisschen zu intelligent und außerdem wolltest du ja nicht Redenschreiber für seinen YouTube-Kanal sein. Das kann er leider nicht dulden: Er und ein paar seiner Muckitypen kommen bei dir vorbei und schlagen nicht nur dein Equipment in kleine Teile, sondern auch dich zu Brei. Er will einfach nicht, dass du deine Videos weiter online stellst. Am Abend des Tages hält er eine brandende Rede vor ausverkauftem Haus. Dieser Mann? Wie das? Na weil er es schafft, seine üble Moral in perfekt durchpersonalisierte und rhetorisch einwandfreie Kunstgriffe zu verlügen. An dich und deine blutende Nase denkt dann niemand mehr. Wir schaffen ja gerade eine bessere Welt! Würde deine Analyse seiner Rede dann immer noch Abstand von der „Moral“ oder der „Ethik“ dieses Menschen nehmen? Genug gespielt; das würde Sie nicht. Und genau da liegt unser Problem. Denn wenn wir beginnen, die größten Demagogen von damals von ihren Verbrechen zu lösen, ihren Weg zur Macht über Kommunikation zu heroisieren, ihr wahres Ziel aber mit zwei, drei Worten wegzubagatellisieren, dann landen wir ganz schnell bei, Zitat von dir, Benedikt, „Das muss man ihm lassen.“ Nein, man darf ihm nichts lassen. Denn sind die unvergesslichen Verbrechen einmal vergessen, bleibt nur noch die von dir mit martialischen Worten zur Ikone erhobene Person, die über jeden Zweifel erhaben scheint. Und das öffnet Tür und Tor für all jene, die genauso über jenen Zweifel erhaben sein wollen – komme, was wolle. So wird aus Verharmlosung erst Verherrlichung und dann Nachahmung. Und du willst doch nicht, dass einer, der noch jünger ist als du mit seinen Muckitypen bei dir vorbeikommt und dir die Nase blutig schlägt, oder?

V. Afterwissenschaft ist für 'n After.

Lieber Benedikt, kennst du die neuen Star Wars Filme? Die sehen ein bisschen aus, wie die alten, da gibt’s ähnliche Charaktere und Themen. Die heißen auch meistens irgendwie gleich. Aber wenn die Orignale kennt, dann fühlt man sich nach dem gucken der neuen immer leer und irgendwie missbraucht. Das hat auch einen Grund. (Spoiler!) Denn die neuen gibt es nur, weil die Leute Gewohnheitstiere sind, die am liebsten das fressen, was sie bereits kennen. Und dann laufen die natürlich scharenweise Jahr für Jahr in die Kinos und bezahlen fleißig für DVDs, Merchandise und Weiß-der-Geier-Was. Ziemlich genau so verhält es sich mit Pseudowissenschaft. Denn die reine Appropriation des Sprechs und des Habitus’ dessen, was man von Wissenschaft eben so aufgeschnappt hat, macht noch lange keine wissenschaftlich fundierten Thesen aus. Dennoch versprechen diese die Erleuchtung, nie enden wollendes Glück, das unendliche Wissen und ein erfolgreiches Leben. Darüber hinaus sind diese Thesen oft nicht falsifizierbar und mit Strategien angefettet, die sie gegenüber Kritik automatisch immunisieren. Deswegen schmecken die ja auch so gut. Denn das ist ihr einziger Zweck: Sie wurden nur designt, um massenhaft konsumiert zu werden. Das Problem an der Sache (und an Star Wars)? Man verkauft den Menschen Schrödingers Katze im Sack, wo sie auf jeden Fall tot ist. Denn der Zweck von Wissenschaft ist es, jede These so lange kritisch zu prüfen, bis sie durch neue Erkenntnisse widerlegt ist. Wissenschaft kennt kein Ende. Verkauft aber jemand seine halbseidenen Ratschläge als die einzige, endgültige Wahrheit, mit der in zehn Schritten jedes Problem unserer Welt gelöst ist, dann ist nicht nur die Katze tot, sondern auch der Geist der Wissenschaft. Dann sind wir in der Religion angekommen. Und die hat dem kritischen Denken bei (Gottes) Leibe nicht gut getan. Deswegen, Benedikt, unser Tipp: Achte doch in Zukunft daraus, aus welchen Büchern du dein „Wissen“ für deine YouTube-Videos beziehst und denk doch nochmal kritisch darüber nach, was da so drin steht. Und greif bei Zweifeln dann doch lieber zu einem Buch über Star Wars. So verhinderst Du auch, dass Deine Jünger dir blind nachlaufen, deine Thesen zu jeder Zeit für voll nehmen und vollkommen falsch auf ihr Leben übersetzen.

Im Übrigen: Was wäre die Welt ohne solch kritische Gedanken wie diesen hier?

Absch(l)ießendes.

Lieber Benedikt, wir sind sicher, diese Tipps werden dir nicht nur zu massivem YouTube-Erfolg verhelfen, sondern auch deinem wahrlich hehren Ziel – dem Lösen der kommunikativen Probleme unseres Alltags – mehr als zuträglich sein. Denn die wahre rhetorische Schieflage unserer Gesellschaft entspringt genau daraus, dass viel zu viele clevere Menschen mit viel zu viel Kohle in den Taschen Zugang zu diesen Mitteln der Manipulation, der Täuschung, des Verkaufens haben – und sie nur dafür einsetzen, ihre eigene Macht zu erhalten. So bestehen die Auftritte von Politikern, CEOs, Silicon Valley Wannabe-Gutmenschen, PR-Sprechern, sexuellen Übergriffen bezichtigten Schauspielern und weiß der Geier welchen Personen des öffentlichen Lebens nur noch aus perfekt rationierten, von Spindoktoren kommunikativ für die Medien zugespitzten Halbwahrheiten, die mit unfehlbarer Mimik und staatstragenden Gesten in die Welt posaunt werden. Jeder Skandal ist eine Chance, mit den eigenen Botschaften in die Medien zu kommen. Auf Fragen bei TV-Diskussion oder von Journalisten folgen keine Antworten mehr, sondern sorgsam präparierte, heruntergebetete Statements. Von Kommunikation kann da schon lange keine Rede(!) mehr sein. Vor allem, weil diese Halbwahrheiten eben das sind: Keine wirklichen Wahrheiten. Man könnte auch Lügen dazu sagen. Genau das haben wir jahrelang schmerzlich am eigenen Leibe erfahren müssen. Wir werden in einer Tour angelogen. Und es fühlt sich einfach nicht gut an, belogen zu werden. Nein, es schmerzt sogar. Vor allem, wenn diese Schmerzen immer und immer wieder kommen, ja, man sie mittlerweile erwartet. Eigentlich sollte es niemanden mehr wundern, dass die völlig apathischen und zynischen Menschen quer durch Europa keinen Bock mehr auf Politik haben, „Lügenpresse“ skandieren und Rattenfängern wie der AfD oder Donald Trump anheim fallen, deren rhetorische Lügnerei daraus besteht, zu behaupten, dass sie bei dieser rhetorischen Lügnerei nicht mehr mitmachen. Nein, die Politiker haben sich ihren Sargnagel schön selbst aus ihren konstanten kommunikativen Komplotten gezimmert. Die Realsatire eines Donald Trump ist nicht die Ursache, sondern das offensichtlichste Symptom einer weltweiten Politik und Öffenltichkeitsarbeit, die nur noch ihr eigenes Medienecho wiederholt und der echte Menschen völlig egal sind. Dabei ist es doch gerade die Komplexität und Leistungsfähigkeit der Sprache, die uns überhaupt erst zum Menschen macht. Aber was soll all der Terz, wir sind alt und kommunikativ gebrochen. Aber Du, lieber Benedikt, Du bist jung. Du hast die Möglichkeit, die Welt zu verändern. Video für Video. Rhetorik-Analyse für Rhetorik-Analyse für eine radikale Rückkehr des Inhalts fernab von den versteckten Interessen machtgeiler Geldgeber zu kämpfen. Wir würden auf „Daumen hoch“ klicken.