Fragmente

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Schöne neue Welt.

Homotopia von Sam Vance Law.

Der glänzende, purpurfarbene Vorhang gleitet geschmeidig über die Bretter. Ein Kegel warmen Lichtes schwebt im Dreivierteltakt, begleitet von Klavier und Streichern, hinein in die Dunkelheit. Zwei Körper folgen ihm wiegend. Eine Hand ruht noch etwas schüchtern in der des Gegenübers. Die andere weiß nicht so recht wohin. Doch die Lippen wissen es. Er küsst ihn. So fühlt es sich also an. Mit ihr war das nichts. Ein Schlag ins Gesicht. Ihre Rache war ihr großer Bruder. Seine Wut läuft ihm lauwarm aus der Nase. Nächste Szene.

Im Graben erhebt sich der Kammerchor. „Let's get married“ schmettert er, während sich ihre Testoteron-geschwängerten Blicke unter den Augen der Pirouetten drehenden Diskokugel treffen. Das Schlagzeug pumpt diverse Substanzen und Endorphine durch ihre Adern. Zehn weiße Tauben fliegen auf die Bühne, über den Retriever und das Reihenhaus am Stadtrand. Nächste Szene.

Die Stufen der geschwungenen Showtreppe blinken nacheinander auf. Da steht er nun am oberen Absatz mit geschwellter Brust, geputzten Schuhen und perfekt sitzender Frisur. Von neidischen Blicken durchdrungen schwebt er auf den Händen seiner Bewunderer getragen rittlings die Stufen hinab. Plötzlich ist er allein. Ein Spiegel. Sein Antlitz lächelt müde zurück. Im Aschenbecher glimmen die Reste seiner Fluppe. Er kippt den letzten Schluck Gin hinunter, beäugt sein Ebenbild. Zu klein. Zu schüchtern. Zu dumm. Und wischt sich nach links. Nächste Szene.

Sam Vance Law erschafft mit seinem Debüt Homotopia eine orchestrierte Pop-Revue, die mitreißenden Folkpop und klassische Elemente phantasievoll verbindet. Der in Kanada und Oxford aufgewachsene Wahlberliner entdeckte früh seine Liebe zur klassischen Musik und sang viele Jahre im renommierten Choir of New College Oxford. Durch seine Kommilitonen, darunter Mac DeMarco, und Erfahrungen als Bühnenmusiker, gewannen Pop- und Indie-Musik immer mehr an Bedeutung in seinem Tun. So kreuzen sich auf Homotopia Kammermusik mit verschnörkelten Balladen, Akustik-Gitarren mit Chorälen, tippelnde Flöten mit noisigen Gitarren, atemloser Indie mit sanften Streichern.

Mit scharfer Beobachtungsgabe, gnadenloser Ehrlichkeit und spitzzüngigem Humor beschreibt er auf Homotopia in zehn Episoden die schwule und queere Lebenswirklichkeit im Hier und Jetzt. Mal bejahend froh, mal zweifelnd traurig, mal voller Wut. Er erzählt vom Party-Hookup zu dritt. Vom Teenager, der seine große, wesentlich ältere Liebe auf der Parktoilette kennenlernt. Von der Homophobie der Kirche („I love god but he doesn’t love me, cause i’m an “unwilling conscript in hell’s army”“). Singt von einer Welt, in der gleichgeschlechtliche Paare Kinder haben dürfen. Von einer Welt, in der man lieben darf, wen man will, so oft man will. Von einer Welt, in der die Ehe für alle keine neue Errungenschaft, sondern selbstverständliche Norm ist. Von Toleranz. Von Diversität. Von einer Welt, für die unsere noch nicht bereit ist – mit einer Überdosis Pop, für die man bereit sein muss. Mit Homotopia gelingt Sam Vance Law ein intelligentes Konzeptalbum voller Witz, Feingefühl und musikalischer Raffinesse.

„Homotopia“ erscheint am 2. März bei Caroline International Germany. Produziert wurde das Album von Konstantin Gropper (Get Well Soon). Wir empfehlen wie immer den legalen Erwerb. Sehen und hören können Sie Sam Vance Law unter anderem auf dem diesjährigen Maifeld Derby in Mannheim. Wir empfehlen das Beiwohnen. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Sun Worship hören.