Fragmente

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Kommentar: Gegen Schwarz Weiß.

Warum eine gehaltvolle Diskussion das probateste Mittel gegen den BDS ist.

Die Band Young Fathers wird zu dem Festival Ruhrtriennale eingeladen. Dann ausgeladen. Dann wieder eingeladen. Die Band Algiers wird von der linken Politikerin Sarah Rambatz als antiisraelisch bezeichnet. Thurston Moore spricht in einem Facebook-Post von neonazistischem Druck auf die liberale Kunst- und Musik-Welt. Das Festival Pop Kultur Berlin ist Stein des Anstoßes für linke wie für rechte Positionen, weil es wenige Hundert Euro Kulturförderung von der israelischen Botschaft erhält. Was wiederum dazu führt, dass die Künstler Shopping, John Maus, Gwenno und Richard Dawson ihre Auftritte an selbiger Veranstaltung absagen. Was ist passiert?

Hinter all diesen Zwisten steht die transnationale Kampagne Boycott, Divestment, Sanctions – zumeist kurz BDS. Ihr Ziel ist es, den Staat Israel politisch, wirtschaftlich und kulturell zu isolieren. Ihre Kampagnen und ihre Mission sind, soviel gleich vorweg, antisemitisch, antizionistisch und antiisraelisch – und deswegen in jeder Hinsicht zu verdammen, wofür Fragmente Deutschland mit vollem Herzen und denkendem Kopf einsteht. Denn die Aktionen des BDS richten sich allein gegen Israel und versuchen, weltweit Zorn gegen den israelischen Staat zu schüren. Sie betrachten die Bewohner des israelischen Staats als "weiße Ausländer", Palästinenser hingegen als Eingeborene des Landes Israel – und sprechen Juden und Israelis damit das Recht ab, im Staat Israel zu wohnen. Dabei gibt es ausreichend Studien und Aufzeichnungen, die eine Verbindung zwischen Juden, Palästinensern und Arabern mit dem israelischen Land aufweisen. Diese Gründe sind nur eine geringe Auswahl an ganz klaren Zeichen dafür, dass die Aktionen des BDS, wie oben beschrieben, von allen Menschen ganz klar abzulehnen sind, die gegen jede Form von Diskriminierung und Rassismus sind. Jedoch bedarf es dafür einer Recherche. (Anmerkung: Wer die Hintergründe und die Geschichte des Nahost-Konfliktes und damit den Konflikt um den Staat Israel nicht en Detail kennt, findet am Ende dieses Textes Links dazu. Die Aufarbeitung dessen maßen wir uns nicht an und würde den Rahmen dieses Textes sprengen.) Warum also werden Künstler wie Young Fathers oder Algiers mit dem BDS in Verbindung gebracht?

Ab hier wird es kompliziert. Denn die Kampagnen des BDS verkleiden sich oft als vertretbare Kritik an verübtem Unrecht, oder stülpen sich darüber. Ein Beispiel: Nachdem die USA Anfang Mai ihre Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt hatte, kam es am Grenzzaun im Gazastreifen zwischen Israel und Palästina zu gewaltsamen Protesten dagegen. Israelische Streitkräfte eröffneten daraufhin das Feuer auf Demonstrierende. Woraufhin mindestens 58 Menschen starben und 1370 Menschen allein durch Schüsse verletzt wurden. Dieses Vorgehen der israelischen Regierung ist in jeder Hinsicht abzulehnen. Was nicht nur wir von Fragmente Deutschland handhaben, sondern auch von Algiers in einem Tweet so getan wurde: Sie verdammten die Gewalt der israelischen Regierung und unterstützen den friedvollen Protest des palästinensischen Volkes dagegen. Das Vorgehen des BDS wäre nun Folgendes: Es stellt sich hinter diese Kritik an der israelischen Regierung und "dankt" beispielsweise der Band Algiers für ihre Unterstützung des BDS – und verbreitet darüber ihre antiisraelischen Positionen. So hat es sich auch bei Young Fathers zugetragen: Die Band wurde via E-Mail von Mitgliedern des BDS kontaktiert und dazu bewegt, die unrechten Machenschaften der israelischen Regierung zu verdammen – indem sie ihren Auftritt am Pop Kultur Berlin Festival absagt. Da der israelische Staat so versuche, sein Unrecht in rechtes Licht zu stellen. Was denn auch so geschehen ist, obwohl, Zitat Band, "[Sie] kritisieren aber auch Menschen, die sich antisemitisch äußern. Antisemitismus unterstützen [sie] nicht im Geringsten." Dass diese Absage dann nach außen hin – und vor allem in Deutschland – so wirkt, als stünden Young Fathers gegen den Staat Israel und hinter dem BDS, war vom BDS natürlich beabsichtigt, und von der Band nicht bedacht.

Was heißt das also? Das heißt, dass die Aktionen des BDS Künstler und Kulturschaffende (mit manchmal bis in die Extreme gehenden Mitteln) ködert und für ihre Machenschaften instrumentalisiert. Dass der BDS in Wahrheit eben ganz andere Ziele verfolgt, bedarf einiges an (politischer) Recherche. Die Komplexität liegt weiters darin, dass Kritik gegen das eine nicht automatisch völlige Unterstützung für das andere bedeutet. Der Autor dieses Textes beispielsweise hört ja auch gerne die alten Songs von Metallica und lehnt deswegen nicht automatisch Slayer mit Haut und Haaren ab (ganz im Gegenteil). Doch genau damit spielen die Aktionen des BDS. Denn sie wissen, wie schnell sich in unserer gereizten Zeit Emotionen hochkochen lassen. Wie schnell ein Shitstorm entstehen kann, wie schnell Entrüstung zu purem Hass wird, der dann sogar in Gewalttaten ausarten kann. Dann heißt es ganz schnell: Die Young Fathers unterstützen den BDS und sind Antisemiten. Die Band Algiers ist gegen die israelische Regierung und ergo gegen den Staat Israel per se. Diese Zuspitzungen sind dabei nicht nur kurz betrachtet und zu simplifizierend, nein, sie unterstützen auch immer wieder die Ziele des BDS: Zwietracht zu säen und den Staat Israel immer als Mittelpunkt dieser Zwietracht zu positionieren.

Dass unterschiedliche Musiker auf unterschiedliche Arten mit diesem Thema umgehen, versteht sich von selbst. Manche davon sind ungeschickt, unüberlegt oder zu kurz betrachtet (Young Fathers), manche davon sind schlichtweg antisemitisch und dadurch abzulehnen (Roger Waters), manche davon sind so dämlich, dass man zum Himmel schreien möchte (Thurston Moore). Fakt ist, dass jeder Mensch politisch ist, da jeder von uns in einer politischen Gesellschaft stattfindet. Fakt ist aber auch, dass Musik per se oftmals eine Flucht aus dieser Welt anbietet, die sich dann aber selbst der Möglichkeit ihrer Flucht entzieht, sobald sie an Orten oder in Kontexten zum Besten gegeben wird, die politisch aufgeladen sind. Das heißt selbstverständlich, dass man keinem Künstler aufzwingen kann, sich politisch zu positionieren. Dass man von keinem Künstler fordern kann, über jegliche politische Vorgänge detailgenau Bescheid zu wissen. Das heißt aber auch, dass es für Künstler manchmal aber auch nicht möglich ist, sich nicht politisch zu positionieren. In genau jener diffizilen Lage liegt die Sprengkraft, die von den Strippenziehern des BDS eiskalt ausgenutzt wird. Das Problem ist, dass jene, die im Gegensatz dazu für Aufklärung, Dialog, und Diskussion einstehen sollten – und dazu zähle ich Sie, liebe Leserschaft, hoffnungsvoll hinzu – oftmals in die selbe Falle tappen. Und auf dem Rücken der Bands Schwarz-Weiß-Behauptungen aufstellen, die zu nichts führen, außer dazu, dass die Diskussion mit noch härteren Fronten geführt wird.

So geschehen bei Algiers. Die Politikerin Sarah Rambatz bezeichnet sie als antiisraelisch und will ihren Auftritt auf dem Pflasterstrand Campus Festival boykottieren. Hier wird die Position der Band, gegen die Gewalt der israelischen Regierung an Demonstrierenden zu sein, vollkommen blind damit gleichgesetzt, dass die Band die Aktionen des BDS unterstützt. Welch Unfug. Anstatt der Band die Möglichkeit zu geben, sich zu Israel, dem BDS oder dem Nahost-Konflikt zu positionieren, wird ihr Auftritt direkt boykottiert. Das ist das Gegenteil von Gesprächskultur, das hat nichts mit Dialog zu tun, das wird zu keiner Lösung führen und das ist die gleiche Methodik, die der BDS einsetzt. Und unabhängig davon ist es die Verlagerung einer politischen Diskussion in die kulturelle Welt, und wenn, dann maximal die Bekämpfung einer Wirkung. Dabei sollte der aufgeklärte und denkende Mensch für die Klärung von Ursachen sein.

Deswegen plädieren wir von Fragmente Deutschland gegen jegliche Form von Schwarz Weiß-Denken. Warum wird der Aufwand, der betrieben wird, um Bands (abgesehen von jenen, die ganz klar antisemitisch sind!) unüberlegt in ein Lager zu stellen, nicht dafür verwendet, die Aktionen des BDS zu zerpflücken? Dafür, aufzuzeigen, warum der BDS antiisraelisch ist? Dafür, was es eigentlich heißt, antizionistisch zu sein? Dafür, was hinter dem Nahost-Konflikt steht? Warum stehen wir nicht geschlossen gegen das Schüren von Hass, Ablehnung und verhärteten Fronten? Sollten nicht gerade wir, die wir uns gerne als weltoffen betrachten, für Dialog und gesittete Auseinandersetzung mit Themen sein? Sollten gerade wir nicht jene sein, die gesonnen gegen die Facebook-Hysterie steht?

Je mehr wir die Ursache für diese Zwiste mit Information und Besonnenheit bekämpfen, desto leichter wäre es auch für Bands, deren Aufgabe es nicht ist und auch nicht sein kann, die Vertretung von politischen Gruppen zu sein, oder gar den Nahost-Konflikt zu lösen, nicht auf den BDS hereinzufallen. Desto schwieriger wäre es für den BDS auch, Kulturfestivals zu bombardieren und zu Entscheidungen zu treiben, die dann wiederum die Sprengkraft bergen, die Scharten der Konflikte noch tiefer zwischen die Menschen zu treiben. Umso einfacher wäre es auch für alle Positionen, politisch motivierten Zuspitzungen nicht auf den Leim zu gehen, sondern billige Instrumentalisierung von einzelnen Aussagen zu durchschauen und den Konflikt dahinter zu sehen und zu lösen zu versuchen.

Denn genau das wünschen wir uns in unserer romantisch-hoffnungsvollen Welt auch für den Konflikt zwischen Israel und Palästina: Eine friedvolle, gesonnene und weltoffene Annäherung beider Parteien, die beide Seiten eben nicht aus der Kritik nimmt (denn beide Seiten sind oft genug zu kritisieren), die aber nach dem Ausdiskutieren der Gegensätze zu einer friedlichen Zwei-Staaten-Lösung führt. Wir sind der Meinung, es tut Not, mit gutem Beispiel voran zu gehen. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr lesen. Zu diesem Thema unter anderem Folgendes: Der Soziologe David Hirsh erklärt, warum der BDS antisemitisch ist. Die Geschichte des Nahost-Konflikts in einem Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Aufarbeitung auf TheIntercept.com zur Verlegung der US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem. Informationen über den Antisemitismus unserer Zeit auf Engage Online