Sleafords Mods live im Club Manufaktur.
Einer trinkt Bier. Der andere schreit herum. Beide sind Legenden. Denn den Sleaford Mods aus dem verfluchten Nottingham, UK, ist das Unmögliche gelungen. Sie haben einem der am schlimmsten vergewaltigten, verratenen und verkauften Worte der Musikgeschichte die Würde zurückgebracht: Dem Punk. Dabei könnte man das, was das Alpha und Omega der Bühnenpräsenz Andrew Fearn und Jason Williamson machen, auch einfach als Hip Hop oder Grime bezeichnen. Denn Fearn liefert Beats, die spröde und dürftig auf Bass und Drums reduziert sind, während Williamson beißenden, bellenden, schreienden, wütenden Sprechgesang darüber kotzt. Das Geheimnis versteckt sich in der Attitüde. Denn die aussichtslos repetitiven, kühlen, geradezu nach Beton klingenden Beats verschmelzen mit Texten, die die traurige Realität des von der Austeritätspolitik geschassten Englands im Allgemeinen und Nottinghams im Speziellen, unvergleichlich rau, authentisch und ungeschönt darstellen.
In personifizierten Erzählungen, Assoziationstexten, aus der tristen Arbeitswelt genommenen Gesprächsfetzen oder einfach nur Schimpfworten, die Wut Ausdruck verleihen, auf Platte gebannt mit dickem, unverfälschtem Nottingham-Akzent, finden sich in jeder einzelnen Zeile die Vergessenen des Vereinigten Königreichs wider. All jene, die von der Globalisierung nicht profitieren. All jene, die von der Regierung vergessen wurden. All jene, die zwar arbeitswillig, wegen Jobabbaus aber arbeitslos sind. All jene, für die ein paar Prozent Steuererhöhungen das Abrutschen in das Existenzminimum bedeuten. All jene, die fünf Tage die Woche zwölf Stunden und länger schuften, nur um sich am Samstag das Pint im Pub nicht mehr leisten zu können. Von der Miete gar nicht zu sprechen. All jene eben, zu denen die Sleaford Mods selbst gehörten. Als Williamson nebst prekären Jobs noch versuchte, mit Singer-Songwriter Musik Bekanntheit zu erlangen. Und scheiterte. Als Fearn noch versuchte, als DJ in Clubs Fuß zu fassen. Und scheiterte. Bis sich beide über den Weg liefen und schließlich begannen, unter dem Namen Sleaford Mods ihre verdammte Realität zum Anlass für Musik zu nehmen. Das Können und die technische Fertigkeit waren da erstmals so egal wie damals, als der Punk erfunden wurde. Denn es galt, die Wut über ebenjene Realität zu kanalisieren.
Zehn Jahre später lautet die jüngste Manifestation jenes Kanalisierens "English Tapas" und erreichte die Nummer 12 der britischen Charts. Völlig zurecht. Denn darauf klingt das Duo aus Nottingham so frisch wie eh und je, entwickelt seinen Sound in kleinen, wohl überlegten Schritten weiter und biedert sich in keinster Weise einer irgend gearteten Massentauglichkeit an. Und die üblichen Stimmen der Fans erster Stunde, die ohnehin alles viel besser als alle andere wissen? "Die waren doch früher viel besser!" oder "Die haben sich total verkauft"? Nichts davon. Die Sleaford Mods haben sich ihre Integrität über Jahre erarbeitet, sind dafür durch die sprichwörtliche und tatsächliche Scheiße gegangen. Was kümmert sie es, dass sie im nationalen britischen Fernsehen waren? Dass sie von der Journaille auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden? Dass sie unzählige Magazin-Cover zieren und die Blogs und sozialen Netzwerke dominieren? Was für sie zählt, ist nicht die Medienblase, sondern der Kontakt mit echten Menschen. Ist nicht die Inszenierung eines Hypes, sondern der Beweis des kolportierten Wahnsinns in Form einer Live-Show. Und so steht ganz Schorndorf und halb Stuttgart nun vor der kargen Bühne des Clubs Manufaktur. Abwarten. Durchatmen. Am Bier nippen. Der Blick offenbart die obligatorisch gewordenen drei Bierkisten auf der linken Seite. Darauf ein veralteter Billig-Laptop mit Stickern drauf. Davor fünf Flaschen Rothaus. Durchatmen. Schwitzen. Rechts davon ein Mikrofonständer, ein vergilbter weißer Bodenventilator. Auf ihm klebt der Schweiß von zehn Jahren Arbeit. Durchatmen. Endlich schlappen sie auf die Bühne. Fearn in Jogginghose und Lauf-Sneakers, Williamson in Hochwasserhose, bunten Ringelsocken und schwarzen Hi-Tops. Beide in klarer Mission. Fearn drückt die Leertaste seines Laptops und "Army Nights" beginnt.
In Sekundenschnelle durchfahren die harten Beats die ausverkaufte Manufaktur. Lassen die Nackennerven der Besucher zucken. Einmal quer durch den gesteckt vollen Flur, hinauf auf die übervolle Empore. Langsam, instinktiv bewegt sich die tumbe Masse von einem Bein aufs andere. Transformiert, transpirierend, zur übergroßen, lebendigen Spiegelung Fearns. Der längst sein erstes Rothaus geöffnet hat und das schäumende Gebräu hypnotisch tanzend auf die Bühnenbretter unter ihm gießt. Das Omega zum Alpha. Denn das kantige, mit einem Drei-Tage-Bart gezierte Gesicht Williamsons wirft einen strengen Blick in das Auditorium, fixiert kraftvoll und entschlossen das Verlautbarungsorgan seiner Aufgebrachtheit und beginnt, stoisch in sein Mikrofon zu schimpfen. Der Kopf ein Viereck. Der Körper der eines Bullen. Die Stimme ein mit Schleifpapier ummantelter Vorschlaghammer. Die Bewegungen ein stolzierender Gockelhahn mit der unkontrollierbaren Hand Joe Cockers. Auf der breiten, quadratischen Stirn: Ein Tropfen, nebst Tausenden anderen.
Indes keinerlei Pause für das Auditorium. Auf "I Can Tell" folgt "Britain Thirst" folgt "Moptop". Zerreibt die letzten Vorbehalte der Besucher in abgestandener, schweißtreibender Luft. Lässt Bierbecher fliegen, einen Pogo entstehen, "Sleaford Mods!"-Schreie Kehlen entfliehen, den Applaus immer lauter, den Boden immer nässer werden. Kurze, zufriedene Blickwechsel zwischen Fearn und Williamson. Mit minimalsten Mitteln kontrollieren sie die Zuschauer. Ziehen ihre geballte Aufmerksamkeit auf eine Nadel. Durchstechen damit den Stoff, aus dem das Mittelmaß gewebt ist. Nähen ihre eigene Klamotte, fernab von Mitmach-Gesten oder Klatsch-Schwachsinn. Geschaffen aus dem Phlegma Fearns und der unvergleichlichen Präsenz Williamsons. Der seinen Mikrofonständer wie ein Schamane umkreist. Sein Innerstes in diesen verdammten Schallwandler gießt. Seine Textzeilen mit einer Wut, die gerade an Unbeherrschtheit vorbei schlittert, auskotzt. Sich kontrolliert unkontrolliert über den Kopf wischt, als würde er der ganzen Welt beständig den Vogel zeigen. Seine Parolen wiederholt, wiederholt, wiederholt. Seinen Kopf puterrot werden lässt. Seine Kleidung und die ersten Reihen völlig mit Schweiß bedeckt. Ein Tropfen, nebst Tausend anderen, läuft auf sein T-Shirt.
Doch obwohl das Publikum und die Band eine undurchdringbar wirkende Sprachbarriere trennt, verbindet sie der Hass auf das System. So zeigen sich die Besucher bereits bei "Jolly Fucker" extrem textsicher. Grölen, nein schreien Williamson seine eigenen Kreationen ins Gesicht. Bringen ihn tanzend, stoßend und Bier verschüttend ein paar Schritte näher gen Bühnenrand. Lassen seine stoische, bullige Miene dann und wann in ein zufriedenes Lächeln übergehen. Seine wie mit einem Maschinengewehr verschossenen Worte fusionieren mit den harten, beinahe kindlich-minimalistischen Beats Fearns zu einer Reinigungskur. Zu einem Rasierer für die zurückgegelte Matte der Banker-Arschlöcher. Zu einer mit den Peitschenhieben der Arbeitswoche verpassten Rücken-Akupunktur. Zu einem Sprung aus dem Fenster eines Versicherungsbüros in eine Schlammpfütze. Zu einem einzigen, alles andere zum Schweigen bringenden Wutschrei. Er tönt auf dieser Bühne. Er bringt die Unzufriedenheit aller kurz zum Schweigen. Die Zugabe ist nicht nur vorbestimmt, sondern auch klar: "Jobseeker", "Tied up in Nottz", "Tweet, Tweet, Tweet". Kollektives Gejohle, konstantes Geschrei. Sechzig Minuten sind heute nicht genug, diese Show soll nicht zu Ende gehen. Doch sie muss, die Realität lässt nicht auf sich warten. Unter tosendem Applaus, sympathischem Bedanken und Zugabe-Rufen fällt ein Tropfen, nebst Tausend anderen, auf den Boden.
Es ist der Schweiß des Fabrikarbeiters in Manchester, der nicht weiß, ob er morgen überhaupt noch zur Arbeit kommen kann. Es ist der Schweiß des Kfz-Mechanikers in Winnenden, der keine Kunden mehr bekommt. Es ist der Schweiß der Krankenschwester in Portugal, die ihre drei Kinder alleine erziehen muss. Es ist der Schweiß des Dönerverkäufers in Berlin, der zum vierten Mal heute um sein Geld beschissen wurde. Es ist der Schweiß der Veterinär-Studentin, die in einer Kneipe arbeiten muss, um ihr Studium zu finanzieren. Es ist der Schweiß all jener, die von der Globalisierung nicht profitieren. Die von der Regierung vergessen wurden. Die zwar arbeitswillig, aber arbeitslos sind. Für die paar Prozent Steuererhöhungen das Abrutschen in das Existenzminimum bedeuten. Die fünf Tage die Woche zwölf Stunden und länger schuften, nur um sich am Samstag das Pint im Pub nicht mehr leisten zu können. Es ist der Schweiß all jener, zu denen die Sleaford Mods selbst gehörten. Und immer noch gehören. Obwohl sie längst die wichtigste Band unserer Stunde geworden sind. Und der Manufaktur in Schorndorf eine unvergessliche Show bereitet haben.
Eine photographische Rekonstruktion der Schau der Sleaford Mods finden Sie hier. Zum Üben für den nächsten Abriss dieser Band empfehlen wir das Studieren der reichen Historie an Veröffentlichungen selbiger. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Human Abfall hören.